Opferspiel: Thriller (German Edition)
auf Blaise Stanley, den Justizminister, zu, der im Hof des Mountjoy-Gefängnisses bei einem Pressetermin für die Fotografen posierte. Es war zehn Uhr morgens, und das Land war mit der Nachricht aufgewacht, dass es einen Mord an einem Polizisten gegeben hatte. In der Sendung Morning Ireland war Aine Lawlor noch mehr den Tränen nahe gewesen als sonst. Die Story in der Mail dagegen, die unterstellte, dass Jo ihrer Aufgabe nicht gewachsen war, wirkte überholt, weil die Radiosender nun alle von der Polizistin sprachen, die »dem Mörder auf den Fersen war und die Tat vorhergesagt hatte«.
Jo hatte in der Nacht von Gerry am Telefon erfahren, dass Stanley an diesem Morgen ein Papier mit neuen Richtlinien zum Freigang für Häftlinge vorstellen wollte. Man hatte bereits im Vorfeld ein Gefängnis als Ort für den Termin gewählt, um die Botschaft rüberzubringen, dass man mit harter Hand gegen das Verbrechen vorging. Nach den Entwicklungen der vergangenen Nacht jedoch sah sich Stanley zur Brandbekämpfung genötigt und war drauf und dran, eine Rede zur Lage der Nation anzuschließen. Der ursprüngliche Plan, vor dem modernen Gefängnisbau aus rotem Backstein und Glasbausteinen in der North Circular Road zu sprechen, war zugunsten einer Umgebung hinter Gefängnismauern aufgegeben worden. Jenseits der grauen Stahltore gab es hier nur einheitlich düsteren Granit. Mit der viktorianischen Gesetzesstrenge, die der Ort vermittelte, ging man kalkuliert auf die Stimmung in der Öffentlichkeit ein, erkannte Jo.
So oder so sah das Gefängnis nach dem aus, was es war, fand sie – eine moralische Kloake. Drogen, Mobiltelefone und sogar Wodkaflaschen kamen regelmäßig über die Mauern gesegelt. Im Wheatfield Prison war es so gang und gäbe, Schmuggelware als Wurfgeschosse einzuführen, dass jemand ein X an die Mauer, die an das Cherry Orchard Hospital grenzte, gesprüht hatte, um die beste Abwurfposition zu kennzeichnen. Es gab nichts, was man im Knast nicht bekam. Bei einer Zellendurchsuchung hatten die Wärter sogar einmal ein Paar Wellensittiche entdeckt.
Gerry hatte zugestimmt, dass Jo kurz mit dem Minister sprechen konnte, bevor dieser danach eiligst zum Flugplatz Baldonnell chauffiert wurde, wenn sie ihn als Gegenleistung einen Monat lang nicht anrief. Als sie sich jetzt Stanley näherte, begriff sie, warum er so untypisch entgegenkommend gewesen war.
»Die wollen mich benutzen«, sagte sie zu Foxy und beobachtete, wie Gerry dem Minister auf die Schulter tippte, ihm etwas zuflüsterte und mit dem Kinn auf sie wies.
Stanley hatte gerade in diversen Haltungen eine staatliche Publikation mit der irischen Harfe auf dem Titelblatt präsentiert, während die sich um ihn scharenden Foto grafen unter artistischen Verrenkungen drauflosknips ten. Sein strenger Richterblick blieb für jede Aufnahme gleich.
Nachdem er Gerry sein Ohr geliehen hatte, winkte er Jo herbei.
Die Reporter in ihren Fliegerjacken begannen seinen Namen zu rufen, damit er sich wieder in Positur stellte. Ein besonders wild knipsender lag geradezu vor dem Minister auf dem Bauch und richtete sein Objektiv auf Stanleys Kinn.
Jo musterte Stanley kritisch und dachte, dass das einzige nicht übermäßig Gepflegte an ihm die Behaarung auf seinen Fingern war. Sein Gesicht strahlte rein von einer allwöchentlichen Peelingmaske, und der Abstand zwischen seinen Augenbrauen war unnatürlich groß. Man musste schon ziemlich viele Speichellecker um sich haben, wenn man sich ein derartiges Verwöhnprogramm gönnte.
Foxy beugte sich nah zu ihr, um ihr leise zu sagen, was er auf den Fotos vom Tatort Stuart Balls gefunden hatte.
»Werkzeuge«, berichtete er. »Einen Meißel und einen Amboss. Wie sich herausstellt, das wichtigste Handwerkszeug eines Silberschmieds.«
Jo schüttelte verwirrt den Kopf.
»Der Silberschmied Demetrius war Jesus ebenfalls nicht wohlgesonnen«, erklärte Foxy. »Es gefiel ihm nicht, wie sich die Predigten des Messias auf sein Geschäft mit Götzenbildern von der Göttin Diana auswirkte. Ich denke, Stuart Ball sollte Demetrius verkörpern. Und du hattest recht mit Anto Crawley in der Rolle des Pontius Pilatus. Da war eine Schüssel voll Wasser auf dem Boden. Oh, und das Wort ›Golgatha‹ in Macs Wohnung ist gleichbedeutend mit Kalvarienberg, dem Kreuzigungsort.«
Jo klopfte ihm auf die Schulter, worauf er sie seinerseits mit dem Ellbogen anstieß, um sie auf den Reporter aufmerksam zu machen, der soeben auf sie zuhielt. Schon liefen ihm die
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