Opfertod
kühlen Fliesen fallen und sank in die Hocke.
Tief durchatmen. Ein und aus … ein und aus …
Lena zwang sich, sich zusammenzureißen. Sie erhob sich und drückte ihren Rücken durch, bevor sie wieder hinaustrat.
»Sagen Sie, konnte die Identität des Opfers nicht über einen Zahnabgleich geklärt werden?«, erkundigte sie sich, als sie in den Obduktionssaal zurückkehrte.
»Bislang noch nicht«, sagte Dr. Böttner, der gerade dabei war, eine neue CD einzulegen.
Lena glaubte ihm kein Wort.
»Frau Peters, ich denke, es ist an der Zeit für Sie, zu gehen«, fügte er ungeduldig hinzu.
Argwöhnisch betrachtete Lena ihn. »Sicher.« Sie wollte gerade durch die Schiebetür verschwinden, als sie unweit der Tür mit der Aufschrift » CT , Kernspintomographie« stehen blieb und sich auf dem Absatz umdrehte. »Aber eine Gesichtsrekonstruktion, die werden Sie doch sicher gemacht haben, oder nicht?«
Der Gerichtsmediziner warf ihr einen genervten Blick zu. Als er sah, dass Lena auf die besagte Tür zulief, kam Dr. Böttner plötzlich mit großen Schritten herbeigeeilt und stellte sich ihr mit ausgebreiteten Armen in den Weg. »Dazu haben Sie keine Befugnis!«
»Hören Sie, ich muss wissen, ob es sich bei der Toten um meine Freundin handelt!«
»Entweder Sie gehen jetzt, oder ich sehe mich gezwungen, den Wachschutz zu rufen!«
Schnaubend ließ Lena die Schultern hängen. »Schon gut, Sie haben gewonnen … bin ja schon weg.« Sie schritt auf den Ausgang zu, nur um sich im nächsten Moment, in dem sich der Gerichtsmediziner von der Tür entfernt hatte, blitzschnell umzudrehen und in den Raum zu stürmen.
» VERDAMMT , PETERS !«, hörte sie Dr. Böttner brüllen. Doch ehe er sie einholen konnte, sah Lena die Bilder des mit Hilfe von 3-D-Visualisierung rekonstruierten Kopfes auf dem großen Computermonitor vor sich. Die Gesichtszüge waren mit Hilfe hochauflösender, räumlicher Bilddateien generiert und bis ins allerkleinste Detail dargestellt worden. Lena hielt den Atem an.
O Gott! Lena sah mit schreckgeweiteten Augen in das Gesicht von Suzanna.
» RAUS !«, brüllte Böttner und zerrte Lena am Arm. »Der Wachschutz wird jeden Moment hier sein!«
Lena riss sich los.
32
Der Frühling in Berlin fiel in diesem Jahr deutlich kühler aus als erwartet, und der erhoffte Temperaturanstieg ließ noch immer auf sich warten. Lena stellte den Kragen ihres Trenchcoats auf, als sie im einsetzenden Regen vor dem grauen Gebäude des Instituts stand. Sie ärgerte sich über Böttner und würde keinesfalls so leicht aufgeben. Als Nächstes wollte sie sich Ferdinand Roggendorf noch einmal vorknöpfen. Lena glaubte nicht, dass Roggendorf der Täter war. Der berüchtigte Stümmler ging beherrscht und mit äußerster Präzision vor und war gewiss kein impulsiver, leicht zu provozierender Hitzkopf wie Roggendorf. Dennoch musste Lena Gewissheit haben.
Ein Blick auf die Uhr rief ihr in Erinnerung, dass Roggendorf jeden Donnerstagabend um diese Zeit in den Box-Club ging. Sich dort einmal umzusehen wäre sicherlich nicht verkehrt.
Lena beschloss, ihren Roller wegen des Regens stehenzulassen, und winkte ein Taxi heran.
»Ich muss zu einem Box-Club namens ›Stahlfaust‹ – schon mal davon gehört?«, fragte sie den Fahrer, nachdem sie auf der Rückbank Platz genommen hatte. Der südländisch aussehende Mann mit weit aufgeknöpftem Hemd und buschig behaarter Brust drehte sich mit einem Grinsen auf den Lippen zu ihr um. »Klar kenne ich den«, sagte er mit türkischem Akzent. Er stellte das Taxameter an und lenkte den Wagen zurück auf die Fahrbahn. »Un Sie sin sicher, dass Sie dahin wolln?« Er betrachtete Lena im Rückspiegel, als frage er sich, was sie in so einem miesen Schuppen zu suchen hatte. – »Ganz sicher.«
Der Fahrer bog an der nächsten Kreuzung Richtung Spandau ab. Nach einer Weile hatten sie sich vom Stadtkern entfernt, und die Gegend wirkte von Straßenecke zu Straßenecke heruntergekommener. Während die Summe auf dem Taxameter unaufhaltsam in die Höhe kletterte, kam es Lena zunehmend so vor, als säße sie schon eine halbe Ewigkeit in diesem Taxi. Nach gut vierzig Minuten Fahrt fuhr der Fahrer rechts ran.
»Macht siebenundzwanzig Euro. Wollen Sie Quittung?«
»Danke, nicht nötig.« Sie reichte ihm drei Zehneuroscheine. »Stimmt so.« Als sie aus dem Taxi stieg, hatte es aufgehört zu regnen. Lena sah erneut auf die Uhr. Roggendorf würde nicht vor neunzehn Uhr auftauchen. Kurzerhand beschloss sie, in dem
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