Opfertod
soll?«
»Ich komm schon klar.«
»Jetzt erzählen Sie mir nicht, Sie hätten noch eine Verabredung.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein … das sicher nicht …«
Sie fuhren weiter geradeaus. Lenas Blick streifte die kargen Hochhausblöcke, von denen einer dem anderen glich.
»Meine Frau hat mich vor einigen Monaten verlassen, und meine Tochter gibt mir auch noch die Schuld daran – so gesehen wartet auf mich auch nichts weiter als ein gepflegter Feierabenddrink.« Seine Zigarette wippte auf und ab, während er das sagte, und in seinen Augen lag Traurigkeit.
»Und – waren Sie schuld?«
Ein wenig verwirrt blickte er sie an.
»Na, die Trennung meine ich. Waren Sie schuld daran oder nicht?«
Er trommelte mit fleischigen Fingern nervös auf das Lenkrad. »Na ja, wie man’s nimmt … Ich sag mal so, ich war vielleicht nicht ganz unschuldig. Es war dieser verfluchte Fall – hat mir einfach keine Ruhe gelassen …«
Wortlos nickte Lena. Sie wusste nur zu gut, wovon er sprach.
»Mag sein, dass ich Helena das eine oder andere Mal vernachlässigt habe, aber irgendwie dachte ich, sie käme schon damit klar, war schließlich für eine gute Sache.« Er schnippte die Asche seiner Zigarette aus dem Fenster. »Ich habe mich monatelang ins Zeug gelegt, um diesem Bastard das Handwerk zu legen, aber jedes Mal, wenn ich kurz davor war, hat er sich wieder in Luft aufgelöst – als hätte ihn jemand in letzter Minute noch gewarnt. Und prompt gab es wenig später eine neue verstümmelte Tote.« Er warf seine heruntergebrannte Zigarette aus dem Fenster.
Hellhörig geworden, wandte Lena ihm den Kopf zu.
»Später wurde der Fall dann an diesen Lackaffen von der Mordkommission weitergegeben, und mich hat man wegen meiner ›rabiaten Vorgehensweise‹ und unter dem Vorwand einiger anderer völlig absurder Gründe vorzeitig in Rente geschickt«, erzählte Belling weiter und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. »Wissen Sie, was meine Theorie ist? Irgendwer wollte mich da bloß loswerden …«
Genau wie Dr. Cornelia Dobelli, kam es Lena in den Sinn.
»Anscheinend lässt Sie der Fall noch immer nicht los«, bemerkte Lena. »Sonst würden Sie Ferdinand Roggendorf wohl kaum beschatten.«
Plötzlich stieg er auf die Bremse und hielt mitten auf der Fahrbahn an.
Erschrocken hielt Lena sich am Gurt fest.
»Ich bin selbst Vater einer Tochter«, meinte er aufgebracht, »und wenn ich nur daran denke, dass sie einem solchen Typen über den Weg laufen würde, läuft es mir eiskalt den Rücken runter.« Seine Augen funkelten wütend. Lena nickte und sah angespannt in den Rückspiegel, darauf wartend, dass Belling endlich weiterfuhr, bevor er noch einen Auffahrunfall verursachte.
»Also habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, das Schwein zu fassen, bevor ich ins Gras beiße«, fuhr er fort. »Scheiß drauf – und sei’s das Letzte, was ich in diesem beschissenen Leben tue.« Endlich setzte er die Fahrt fort.
»Und was macht Sie so sicher, dass es Roggendorf ist?«
»Sagen wir so: Ich habe da meine Quellen. Und dass dieser Kerl nicht ganz koscher ist, ist wohl nicht von der Hand zu weisen …«
»Trotzdem beweist das noch gar nichts«, entgegnete Lena.
Der Dicke zog zornig die Stirn kraus. »Ich höre wohl nicht richtig – was haben Sie denn für ’n Vertrag mit diesem Anwaltssöhnchen?«
Lena holte tief Luft. »Keinen. Aber er passt einfach nicht ins Profil. Ich will nur sichergehen, den Richtigen hinter Gitter zu bringen.«
»Verstehe …« Eine Weile später hielt er an einer U-Bahn-Station. »Von hier aus sind es bloß noch ein paar Stationen bis nach Moabit, kommen Sie klar?«
Lena nickte und stieg aus. »Danke«, sagte sie noch und schlug die Wagentür zu.
»Ach … ähm …«
Sie beugte sich zum offenen Fenster hinunter. »Ja?«
»Hier …« Er reichte ihr eine Visitenkarte.
Kriminalhauptkommissar Wulf Belling, neuntes Revier.
»Ist nicht mehr die aktuellste – aber die Mobilnummer stimmt noch, und … ähm … sollten Sie wieder einmal auf die Idee kommen, sich nachts in zwielichtigen Gegenden rumzutreiben oder jemandem vors Auto laufen zu wollen, dann rufen Sie mich vorher an.«
Unwillkürlich musste Lena grinsen. »Mach ich.« Sie steckte seine Karte ein und lief die Treppen zur U-Bahn hinunter.
34
Einen Tag später
Lena saß zu Hause vor ihrem Laptop. Die Tatsache, dass Drescher Dr. Dobellis Ermittlungsakte unter Verschluss hielt, wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf und sagte ihr,
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