Opferzahl: Kriminalroman
ein altes Schwulenpärchen durch den Flur, bis sie zur Tür der U-Bahn-Opfer kamen und von einem geradezu angewiderten Blick des Banane mampfenden Polizeiassistenten empfangen wurden. Da gab Norlander Söderstedt einen Schmatz auf die Wange. Der Uniformierte verschluckte sich und begann, schleimige Bananenstücke auf den frisch gebohnerten Krankenhausboden zu husten. Als Norlander ihm auf den Rücken klopfte, brüllte er im Stakkato zwischen den Hustenanfällen und dem Klopfen:
»Fass mich nicht an!«
Norlander ließ von ihm ab. Über die immer heftigeren Hustenanfälle hinweg, sagte Söderstedt: »Glaubst du wirklich, er hat uns gehört?«
»Bingby? Doch, ich glaube ja.«
»Wie sah es aus?«
»Ich habe nicht gesehen, wie er die Augen öffnete, aber als ich ihn ansah, waren sie offen. Dann ist er zusammengezuckt, sodass das Bett vibrierte. Und dann hat er die Augen geschlossen.«
»Und ist ohnmächtig geworden?«
»Weiß nicht«, sagte Norlander. »Wollen wir es versuchen?«
»Warum nicht?«, sagte Söderstedt mit einem Abschiedsnicken zu dem Polizeiassistenten, der sich inzwischen krümmte.
Sie gingen zurück in den dunklen Krankensaal. Andreas Bingbys Beatmungsgerät pumpte unverdrossen weiter. Und Bingby selbst lag mit geschlossenen Augen da, als habe er nie etwas anderes getan.
»Andreas?«, sagte Söderstedt vorsichtig. »Hören Sie mich?«
Kein Anzeichen verriet, dass Bingby hörte. Hinter den geschlossenen Lidern war keine Bewegung zu erkennen.
Sie versuchten es noch eine Weile, vorsichtig. Schließlich gaben sie auf und ließen ihn zufrieden. Im Frieden des Komas.
Sie gingen zu Roland Karlssons Bett hinter dem Kunststoffvorhang. Das Schweigen des Beatmungsgerätes übertönte fast die immer matteren Hustenanfälle draußen auf dem Flur.
Der sechzigjährige Mann sah sehr friedlich aus, wie er da lag, den ganzen Körper außer den Augen in blutige Verbände gehüllt.
Als habe er endlich Frieden gefunden.
Söderstedt sah über das Bett hinweg Norlander an. Und sah, dass er genau das Gleiche dachte.
Als ob diese geschlossenen Augen tatsächlich zu sagen vermochten, dass es im Leben nicht viel Frieden gegeben hatte.
Aber Arto Söderstedt sah auch etwas anderes. Auf Viggo Norlanders Gesicht lag ein Schatten, und der hatte mit der handgreiflichen Nähe des Todes zu tun. Und nicht nur mit dem traurigen Tod Roland Karlssons. Sondern mit dem Tod im Allgemeinen.
Oder vielleicht mit dem Tod im Besonderen.
Norlander beugte sich ein wenig über das Krankenbett und sagte leise:
»Wir kriegen sie, Roland. Ich verspreche es dir.«
*
Es funktioniert ja. Ich komme auch durch diesen Tag, ohne dass man etwas merkt.
Ich glaube nicht, dass man etwas merkt.
Ich bin so dankbar dafür, dass ich die Idee hatte, die Sache schreibend zu durchdenken. Nein, dir bin ich dankbar, Schrift, und der Möglichkeit, die die Sprache uns allen bietet. Und ich bin froh, dass ich mich immer noch ungefähr daran erinnere, wie man schreibt.
Man schreibt in etwa so, wie man denkt. Es gilt nur, auf all das Treibholz zu achten, das die eigentümlichen Ströme der Gehirnzellen eventuell mit sich führen.
Alles, was durchs Gehirn strömt. Allerdings ohne den Mist. Ohne all das, was die Tendenz hat, in Blogs zu landen.
Aber natürlich bin ich ungerecht. Meine Perspektive ist so speziell. Ich schreibe am Rand. Balanciere auf Messers Schneide.
Und natürlich muss man wachsam sein, wegen des Klischeerisikos ...
Er hat sich nicht gemeldet. Ich weiß nicht mehr als vorher. Alles steht am selben Punkt. Ist dort stecken geblieben. Wie sagt man noch: Die Hölle ist, dass nie etwas passiert.
Heaven is a place where nothing ever happens.
Das haben die Talking Heads einst behauptet.
Und wenn das stimmt, unterscheiden sich Himmel und Hölle nicht sehr voneinander. Ich will auf der Erde sein, hier und jetzt, in diesem Leben, mit all seinen Höhen und Tiefen, seinen Erfolgen und Misserfolgen. Und das bin ich auch. Die richtige Hölle, die in vollem Ernst böse ist, ist das, was in diesem Leben existiert.
In unserer Zeit.
Aber hier existiert genauso der richtige Himmel.
Ich weiß immer noch nicht, was von mir verlangt wird. Er weiß, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht. Er weiß es. Und er fordert etwas von mir.
Und ich habe keine Ahnung, was es ist.
Ich habe heute keine Möglichkeit gehabt, es zu lokalisieren. Die Art von Tag war es nicht.
Ich weiß nicht, wann ich Zeit
Weitere Kostenlose Bücher