Ophran 3 Die entflohene Braut
Nacht war mild, was das Kampieren im Freien verhältnismäßig angenehm machte im Vergleich zu einer Nacht in einer stickigen Absteige, die mit dreißig oder mehr ungewaschenen Leibern voll gestopft war.
„Achten Sie darauf, wo Sie hintreten. “ Jack reichte Amelia die Hand und half ihr aus der Kutsche.
„Ist das Ihr Schiff? “ Amelia blickte verwundert auf den klapprigen Dampfer, der am Ende des Kais festgemacht war. Von seinem rostigen Rumpf blätterte die Farbe, und aus dem zerbeulten Schornstein quollen in unregelmäßigen Abständen ölige schwarze Rauchwolken. „Es sieht furchtbar alt aus. “
„Die, Liberty hat Fracht nach Singapur, Hongkong, Indien und den Westindischen Inseln transportiert“, erklärte Jack schroff. „Sie mag Ihren Ansprüchen nicht genügen, Miss Belford, doch Sie werden mit ihr vorlieb nehmen müssen. “ Er ließ Amelia stehen und ging auf sein Schiff zu.
„Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht beleidigen! “ entschuldigte Amelia sich hastig. „Ich bin sicher, es ist ein hervorragendes Schiff“, fügte sie matt hinzu, während sie versuchte, mit Jack Schritt zu halten.
„Sie stößt verdammt viel Qualm aus, finde ich. “ Oliver schaute besorgt auf die ständig dicker werdenden Rauchfahnen, die aus dem Schiff quollen.
Jack verlangsamte seine Schritte nicht, während er die rußigen Wolken betrachtete, die in den sternklaren Nachthimmel auf stiegen. „Sie soll erst übermorgen auslaufen. Die Fahrt nach Inverness wird die Befrachtung unterbrechen, doch sobald wir von Bord gegangen sind, kann sie zurück nach... “
Plötzlich entstieg dem Schiff ein Feuerball und erhellte die Nacht mit einem gleißenden Regen kupfer- und goldfarbener Funken. Die Hitze der Explosion traf die drei mit ungebremster Wucht. Jack riss Amelia zu Boden und schützte sie mit seinem Körper vor dem sengenden Hauch.
„Runter! “ rief er Oliver zu.
Der alte Mann ließ sich auf den Pier fallen und vergrub den Kopf unter den Armen, als eine erneute Explosion die „Liberty“ erschütterte. Ein glitzernder Funkenschauer stob gen Himmel und rieselte dann auf die schwarzen Wasser des Flusses nieder.
„Heiliges Kanonenrohr! “ fluchte Oliver und wagte einen kurzen Blick auf das Geschehen.
Amelia schmiegte das Gesicht an Jacks muskulöse Brust. Sie nahm alles um sie herum mit hellwachen Sinnen wahr, von der beißenden, rauchgeschwängerten Luft bis zur rauen Berührung seines billigen Wollmantels an ihrer Wange. Jack lag über ihr, die Beine mit den ihren verschränkt, und drückte sie mit seinem schweren Körper zu Boden. Einen langen Augenblick lag sie wie erstarrt da, spürte Jacks Herzschlag an ihrer Brust und seinen Atem in ihrem Haar.
„Seid ihr wohlauf? “ Jack stützte sich auf die Ellbogen, erhob sich jedoch nicht ganz, um Amelia zu schützen, falls es zu einer weiteren Explosion kommen sollte.
„Mir geht’s gut, Junge“, antwortete Oliver und rappelte sich unbeholfen auf. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen. “
„Mir geht es auch gut. “ Amelias Stimme zitterte ein wenig.
Jack musterte sie einen Moment lang, als wolle er ihr nicht recht glauben. Ihr Haar fiel in goldenen Strähnen über die rauen Planken der Landungsbrücke, der Ausschnitt ihres Kleides war leicht verrutscht, und obwohl er ihre zarten Schultern umfasst hielt und das Bein zwischen ihre Schenkel drückte, machte sie keinerlei Anstalten, sich aus seiner Umarmung zu lösen. Ihre milchweiße Haut schimmerte bernsteinfarben im flackernden Feuerschein. Die „Liberty“ stand in Flammen; Jack wusste es, ohne hinzusehen. Sein Schiff war zerstört, doch diese Erkenntnis erschien seltsam unbedeutend im Vergleich zu den außergewöhnlichen Gefühlen, die ihn durchströmten. Er konnte einzig daran denken, wie klein und zart Amelia war, als sie so vertrauensvoll unter ihm lag, wie ihr schlanker Leib sich an den seinen schmiegte, ihn liebkoste und sein Blut in Wallung brachte, bis er nur noch den einen Wunsch hatte, ihre Lippen zu kosten und die Hände über ihren herrlichen Körper gleiten zu lassen.
Jack löste sich erschrocken von ihr und sprang auf. Seine Mannschaft! Er lief auf das brennende Schiff zu.
„Kommen Sie, Mädchen, ich helfe Ihnen. “ Oliver reichte Amelia die Hand.
„Oh nein! “ stieß sie atemlos hervor. „Schauen Sie! “
Etwa zwei Dutzend Männer strömten von den unteren Ebenen an Deck der „Liberty“. Sie starrten ratlos auf die lodernden Flammen und fragten sich offenbar, ob sie
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