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Opium bei Frau Rauscher

Opium bei Frau Rauscher

Titel: Opium bei Frau Rauscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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richtig eingeschätzt. Sein Geist loderte empor. Jetzt noch ein bißchen Beschatten spielen, und die viertausend Euro sind redlich verdientes Geld. Er rieb sich die Hände.
    Eine abwechselnd heiße und kalte Dusche als Hygienemaßnahme machte aus Herrn Schweitzer wieder ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft.
    Später, beim Bäcker, erfuhr er dann am eigenen Leib, wie in Sachsenhausen Gerüchteküchen brodelten. „Du, Simon“, wurde er von der Verkäuferin angeflüstert, „ich hab gehört, du seiest einer Kindesentführung auf der Spur …“
    Aber Herr Schweitzer wohnte lange genug in diesem Stadtteil, um damit umgehen zu können: „Pssst, aber nicht weitersagen, der Fall steht kurz vor der Aufklärung.“ Ein verschwörerisches Augenzwinkern unterstrich die Wichtigkeit der unbedingten Geheimhaltungspflicht. Schon am frühen Abend würde er ganz alleine einen Kinderpornoring zerschlagen haben. Sachsenhausen eben. Der Stadtteil der Fenstergucker. Eine uralte Tradition.
    Eine Schwierigkeit stellte sich noch ein. Jürgen kannte Herrn Schweitzer. Also mußte eine Verkleidung der Extraklasse her, wollte er nicht beim Nachspionieren erwischt werden. Seine wilde Mähne bändigte er mit einer Wagenladung Pomade, bevor er sich eine schwarze Perücke überstülpte. Damit sah Herr Schweitzer wie ein abgerissener Altrocker aus, dessen goldene Ära mit dem Absturz von Lynyrd Skynyrd jäh endete. Ein neuer Panamahut linderte diesen Eindruck ein wenig.
    Die Sikoras bewohnten die Etage über der Apfelweingaststätte Zum Dautel. Gegenüber war ein Kinderspielplatz. Dort hatte es eine von einer Bank gestiftete Bank, auf die sich Herr Schweitzer nun setzte. Lustlos blätterte er im Sachsehäuser Käsblättche, das er sich von zu Hause mitgenommen hatte. Gegen die Kälte schützten ihn seine Angora-Unterwäsche und ein schwerer brauner Ledermantel.
    Eine Stunde geschah nichts. Dann ging die Haustür auf, und ein Mann, der wie Jürgen aussah, trat auf die Straße. Herr Schweitzer wollte gerade aufstehen, als die dicke Gertrud sich ihm in den Weg stellte und ausgiebig musterte: „Wie läufst denn du rum? Machste einen uff Cowboy, oder was?“
    Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ausgerechnet jetzt hatte ihn seine ehemalige Klassenkameradin, die an der nahegelegenen Bushaltestelle ihren Stammplatz hatte und dort tagein, tagaus mit ihren Kumpels billigen Fusel trank, ausfindig gemacht. Herr Schweitzer sah an sich herunter. Wie sie ihn wohl erkannt haben mochte? Doch was nutzte ihm dieses Wissen? Er mußte sie ganz schnell loswerden. Jürgen war schon einige Meter den Neuen Wall hinuntergelaufen. „Ich hab jetzt keine Zeit.“ Er rollte das Sachsehäuser Käsblättche zusammen und trat einen Schritt nach vorne.
    Die dicke Gertrud auch und verstellte ihm damit den Weg. „Hast’s wohl eilig? Oder kennst mich vielleicht gar net mehr?“
    „Doch, doch. Gertrud, stimmt’s?“ Jürgen hatte schon fünfzig Meter Vorsprung. Normalerweise ging sie ihn immer um zwei Euro an, die dann auch sogleich in Alkohol investiert wurden. Daran erinnerte sich Herr Schweitzer, Gott sei Dank. Er zückte seine Geldbörse und suchte nach Kleingeld. Jürgens Vorsprung wuchs auf fünfundsechzig Meter. Er hatte nur Scheine einstecken. Ein scharfer Wind blähte seinen Mantel und ließ ihn frösteln. Resigniert überreichte er ihr einen Zwanzig-Euro-Schein. „Das reicht aber für diesen Monat.“
    Herr Schweitzer sprintete an der verblüfften Saufnase vorbei, die ihm kopfschüttelnd nachsah. An der Dreieichstraße hatte er Jürgen wieder eingeholt. Mit gebührendem Sicherheitsabstand nahm er die Verfolgung auf. Der Wind nahm zu, und er mußte seinen Hut auf den Kopf drücken, damit dieser nicht davonflog. Jürgen bog in die Klappergasse ein. Das Ziel mußte bald erreicht sein, überlegte Herr Schweitzer, denn sonst wäre andersherum kürzer gewesen. Oder wollte sich der Juwelier nur mal kurz die Beine vertreten? Doch da betrat er auch schon die Stufen einer Gaststätte, die im Erdgeschoß eines der vielen restaurierten Fachwerkhäuser Alt-Sachsenhausens untergebracht war. Das Gebäude grenzte an das Denkmal der Schutzpatronin Frau Rauscher, die alle siebzehn Sekunden überraschte Touristen mit einem Wasserstrahl anspuckte. Verewigt war Frau Rauscher in einem Heimatlied, das ein jeder Frankfurter mitzusingen verstand und seit 1929 zum Repertoire aller Frankfurter Gesangsvereine gehört.
    Am Sonndach warn mer Dribbdebach
was hammer do gelacht
so warn zwaa

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