Optimum - Kalte Spuren
Eliza, dass Rica gesprochen hatte, aber dann sah sie in Nathans Gesicht, das jetzt weiß wie eine Wand war. Angst. Er hatte Angst, und das nicht zu knapp. Eliza fragte sich, wovor. Nathan war so selbstsicher, so stark und ruhig, sie hätte nicht geglaubt, dass die Aussicht auf eine Prügelei ihn dermaßen in Schrecken versetzte.
»Bitte, dafür gibt es doch gar keinen Grund!« Frau Friebe war neben Torben getreten und hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt, doch er schüttelte sie einfach ab.
»Sorry, Frau Friebe, aber diese kleinen Angeber muss mal jemand in ihre Schranken weisen«, meinte er, ohne die Lehrerin anzusehen.
Nathan griff nach Elizas Hand. »Bitte! Jetzt!«
Sie ließ sich von ihm auf die Füße ziehen, genau in diesem Moment wandten sich die jüngeren Schüler wieder zum Raum um.
Ihre Augen glühten.
Zumindest war es das, was Eliza zunächst glaubte. Alle Kindlichkeit, alle Normalität war aus ihren Gesichtern verschwunden, und sie hatte das Gefühl, in starre Masken zu blicken. Masken mit unheimlichen, lebendigen Augen, deren Blicke jeden im Zimmer zu durchbohren schienen.
Dann spülte die Welle über sie. Eliza hatte von Rica gehört, was im Restaurant passiert war, aber davon zu hören und es selbst zu erleben, waren noch mal zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Eine Woge von Hass und Gewaltbereitschaft durchströmte Eliza. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Ihr Blick verschleierte sich, und ihr Hals wurde ganz eng, als säße ein Klumpen darin, den sie nicht herunterschlucken konnte. Rote Wut loderte in ihr, sie war vollständig davon erfüllt, und ihre Fäuste ballten sich ohne ihr Zutun. Sie fühlte sich wie ein Ballon kurz vor dem Platzen und wartete nur auf das richtige Stichwort, um dem Nächsten, der ihr dumm kam, eine reinzuhauen.
Und gleichzeitig wusste sie ganz genau, dass diese Gefühle nicht ihre eigenen waren. Sie konnte fast sehen, wie die Welle von der kleinen Gruppe jüngerer Schüler aus auf sie zuspülte und sie durchfloss. Diese leuchtenden Augen – die gar nicht richtig leuchteten, sondern eigentlich nur sehr starr und unbewegt wirkten –, diese ruhigen Gesichter. Sie schienen die Wut und den Hass in Elizas Herz zu pflanzen.
»Verschwinden …!« , bat Nathan neben ihr. Vielleicht hatte er auch noch mehr gesagt, aber Eliza verstand nur das eine Wort. Einen Moment lang kämpfte ihr Verstand mit ihren Gefühlen. Sie wusste , es war richtig, was Nathan ihr vorgeschlagen hatte. Doch ihr Zorn sagte etwas anderes. Sie wollte nicht verschwinden. Sie wollte endlich mal jemandem zeigen, dass sie nicht das kleine, schwache Mädchen war, für das sie alle hielten.
»Feigling«, zischte sie und drehte sich zu Nathan um. Sein Gesicht war immer noch weiß vor Angst, aber jetzt lag auch ein Funkeln in seinen Augen, das ihr sagte, dass Nathan mindestens genauso wütend war wie sie selbst. Eliza verspürte plötzlich das dringende Bedürfnis, diese Wut noch weiter zu wecken. Was wohl passierte, wenn sie ihn noch ein bisschen reizte?
»Feigling«, wiederholte sie. »Hast du etwa Angst vor einem Haufen kleiner Kinder?«
»Lass ihn in Ruhe«, knurrte Rica, die plötzlich neben Nathan aufgetaucht war.
»Hast du es nötig, dich von einem Mädchen beschützen zu lassen?«, höhnte Eliza weiter. Sie konnte beim besten Willen nicht sagen, woher diese Worte kamen, es war fast so, als gehöre ihr Körper nicht mehr ihr selbst, als stünde sie, Eliza, draußen und beobachte jemand anderen dabei, wie er für sie redete und handelte.
»Bitte!« Doch Nathan klang nun ebenfalls mehr wütend als ängstlich.
»Feigling!«, wiederholte Eliza zum dritten Mal und grinste über das ganze Gesicht.
Ohne Vorwarnung stürzte sich Nathan auf sie und stieß sie zu Boden. Elizas Kopf schlug hart auf irgendetwas auf, ein scharfer Schmerz durchzuckte sie, dann ebbte die Wut plötzlich ab und die Welt versank in Dunkelheit.
* * *
Der Zorn stieg in Rica hoch wie die Bläschen in einer Colaflasche. Sie gab sich gar keine Mühe, ihn zu unterdrücken. Es war, als habe sie lange auf so eine Gelegenheit gewartet. Mindestens seit dem Zeitpunkt, an dem Saskia Robin ihre Schwangerschaft gestanden hatte. Ohne noch einmal darüber nachzudenken, ohne die geringste Zurückhaltung stürzte sich Rica auf Nathan und riss ihn mit sich zu Boden. Sein überraschtes Gesicht nahm sie noch wahr, danach verschwammen die Eindrücke vor ihren Augen, und nur einzelne Bilder schafften es bis in ihr Gehirn. Nathan, wie er am
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