Optimum - Kalte Spuren
Boden lag, den Kopf zur Seite gedreht, Blut, das aus seiner Nase lief. Torben, der sich auf eine Gruppe jüngerer Schüler stürzte und von Sarah zurückgerissen wurde. Frau Friebe, hilflos und durcheinander am Kopfende des Raumes. Wild gewordene Schüler, die in blinder Wut aufeinander einprügelten.
Schlimmer als die Bilder waren jedoch die Geräusche. Schreie, selten vor Schmerzen, öfter vor Wut. Es waren tierische Schreie, wie von Raubtieren, die um Beute kämpften. Als hätten sie alle vergessen, dass sie Menschen waren. Dazu das dumpfe Geräusch, wenn Körper auf dem Boden aufschlugen, und einmal sogar ein heftiges Knacken, das Rica den Magen umdrehte. Brechende Knochen. Doch obwohl ein Teil von ihr danach schrie, zu fliehen, sich in Sicherheit zu bringen und diesem Wahnsinn zu entkommen, war da der weitaus stärkere Teil, der auch sie nach Blut gieren ließ. Rica schlug wild um sich, es war ihr egal, wen oder was sie traf, es war ihr gleichfalls egal, dass sie selbst Schläge einsteckte, ja, sie spürte sie kaum. Sie wollte nur noch jemandem wehtun. Egal wem. Hauptsache, sie selbst stand am Ende noch.
Ich werde sterben, schoss es ihr durch den Kopf. Jemand wird mich totschlagen. Aber nicht, ohne dass ich mich wehre. So schlug sie um sich, trat, biss und kratzte, schmeckte Blut in ihrem Mund und hoffte in einem flüchtigen Moment der Klarheit, dass es nur ihr eigenes war. Ein Dröhnen in ihren Ohren sperrte nun alle anderen Geräusche aus, ein roter Schleier vor ihren Augen ließ alles in einem unwirklichen Licht erscheinen, und das wilde Tier in ihr schrie weiter nach Blut. Blut und Schmerzen.
Dann war es auf einmal vorbei.
Von einem Moment auf den anderen ließ Ricas Wut nach, fiel von ihr ab wie ein abgestreiftes T-Shirt, und ihre Sicht klärte sich ein wenig. Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass sie schweißgebadet war und ihr Atem schwer ging. Ihre Haare hingen ihr wirr in die Stirn. Ihre Hände schmerzten, und als sie darauf sah, bemerkte sie, dass sie sich die Knöchel aufgeschlagen hatte. Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, woran. Sie spürte ein warmes Rinnsal ihren linken Arm herunter rinnen, und als sie gedankenverloren darüber hinweg wischte, färbten sich ihre Finger rot.
Erst allmählich begann sie, auch ihre Umgebung wahrzunehmen. Sie war umgeben von Schülern. Die meisten von ihnen standen genauso verwirrt und verloren in der Gegend herum wie Rica. Manche lagen am Boden. Ein paar hatten sich auf den Bänken niedergelassen und die Köpfe in die Hände gestützt. Nicht einer war ohne Verletzungen davongekommen. Rica sah mehrere lange Kratzer und die eine oder andere Bisswunde und schauderte. Wie die wilden Tiere.
Sie ließ sich neben Eliza auf den Boden fallen. Ihre Freundin war mit dem Kopf aufgeschlagen und lag bewusstlos da. Rica versuchte verzweifelt, sich daran zu erinnern, was man in so einem Fall zu machen hatte. Stabile Seitenlage? Wie ging die noch mal? Ihr Kopf schmerzte, ihre Gedanken schwirrten, und es fiel ihr schwer, nachzudenken. Sie wollte Eliza gerade auf die Seite rollen, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.
»Ich mach schon.« Nathan schob sie vorsichtig beiseite und bückte sich zu Eliza hinunter. Er tastete nach ihrem Handgelenk, dann schob er seine Arme unter sie und hob sie fast mühelos hoch.
»Sollte man sie nicht hierlassen? Verletzte zu bewegen war doch irgendwie nicht ganz so gut, oder?«
Nathan nickte kurz und meinte dann: »Aber hier willst du sie doch bestimmt nicht lassen, oder?«
Rica sah sich erneut im Raum um, dieses Mal mit etwas wacherem Verstand. Nach der kurzen Ruhepause brach jetzt gerade die Hölle los. Jüngere Schüler begannen zu weinen, ältere fauchten sich gegenseitig an, Torben versuchte, sich vor Frau Friebe zu rechtfertigen, während die einfach nur blass und ungläubig dastand und das ganze Chaos betrachtete. Ein paar der bewusstlosen Schüler wachten gerade wieder auf und schienen jetzt erst richtig mitzubekommen, was geschehen war. Jeder versuchte, gleichzeitig zu sprechen, und niemand schien sich um die Verletzten zu kümmern.
»Ich glaube, ein bisschen Ruhe kann sie jetzt mehr gebrauchen als das hier«, meinte Nathan.
»Sollten wir nicht hierbleiben, um zu helfen?« Rica war immer noch unsicher.
»Willst du das denn?«
Rica schüttelte den Kopf. Nein, wenn sie ehrlich war, hatte sie dazu keine Lust. Sie wusste beim besten Willen nicht, was gerade passiert war, aber das Ganze war ihr zu unheimlich. Und sie
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