Optimum - Kalte Spuren
selbst, ruhig zu bleiben. »Ist dir was passiert?« Sie legte vorsichtig ihre Hand auf Sarahs Schulter. Die zuckte zusammen, schüttelte aber den Kopf.
»Hab mich nur erschrocken«, murmelte sie. Ihr Schluchzen verstummte allmählich.
»Aber was hat der Kerl in unserem Zimmer gemacht?«, wollte Vanessa wissen. »Wer war das überhaupt?«
Jetzt bloß nicht den Psychopathen erwähnen! Doch in diesem Moment sagte das jüngere Mädchen, das Rica schon zuvor Antwort gegeben hatte: »Das war bestimmt dieser Serienmörder.«
Stille folgte auf ihre Ankündigung. Die Schüler sahen einander entsetzt an. Offensichtlich hatten die meisten die gruselige Geschichte schon wieder vergessen, oder sie hatten sie nicht ernst genommen. Jetzt, in der Dunkelheit auf dem Flur schien das Ganze viel realer zu sein.
»Oh Gott! Wir müssen hier verschwinden«, flüsterte Vanessa.
»Wie denn? Willst du mitten in der Nacht in den Ort hinunterlaufen?«, meinte Torben und sah sich demonstrativ im Flur um. »Wo steckt Frau Friebe?«
»Ich glaube, die schläft«, meinte Jasmin, Simons Freundin, schüchtern.
»Bei dem Krach?« Torben verzog das Gesicht.
»Sie hat eine Schlaftablette genommen«, erwiderte das Mädchen. »Hat gesagt, dass sie das Ganze hier zu sehr aufregt.«
»Na klasse.« Torben drehte sich zu Rica um. »Gibst du mir mal die Taschenlampe? Dann sehe ich im Zimmer nach, ob der Kerl irgendwas angestellt hat.«
Nach kurzem Zögern überreichte Rica Torben die Lampe. Sie selbst sah sich nach Nathan um, doch der war nirgendwo zu sehen. Komisch, dabei war er doch vor ihr aus dem Zimmer gestürmt. Wohin war er wieder verschwunden?
Torben schob die Zimmertür auf und leuchtete mit der kleinen LED herum. »Also, ich kann nichts Außergewöhnliches erkennen«, sagte er, als das Licht wieder anging.
Die plötzliche Helligkeit, als die Glühbirnen in den Lampen aufflammten, blendete Rica für einen Moment. Sie blinzelte, kniff die Augen zu und öffnete sie wieder. Dann warf sie neugierig einen Blick in Sarahs und Vanessas Zimmer. Es sah absolut normal aus. Ordentlich aufgeräumt und sauber. Nicht ein Stück Wäsche lag herum. Auf einem Kopfkissen lag ein Krimi, auf dem anderen ein aufgeschlagenes Tagebuch.
Aufgeschlagen! Rica starrte das Buch an. Kein Mädchen, das sie kannte, ließ ihr Tagebuch offen irgendwo herumliegen. Und tatsächlich, Vanessa drängte sich an ihr vorbei, hechtete auf das Bett zu und riss das Buch an sich.
»Wer war das?«, fragte sie. Sie hielt das Buch fest vor die Brust gepresst, als wolle sie es vor weiterem Schaden bewahren. »Wer hat mein Tagebuch gelesen?«
Fragende Gesichter überall, niemand schien sich angesprochen zu fühlen.
»Wer war das?«, wiederholte Vanessa, und jetzt wurde sie zunehmend hysterisch. Ihre Augen glänzten.
»Rica?« Torben war plötzlich an ihrer Seite und sprach ihr ganz leise ins Ohr. Rica zuckte zusammen. »Ganz ruhig«, meinte er. »Nicht dass hier noch mehr ausflippen. Hast du dir mal deine Hände angesehen? Aber nicht ausrasten, bitte.«
Rica runzelte die Stirn und hob ihre Hände ein Stück, um sie anzusehen.
Trotz Torbens Warnung hätte sie beinah aufgeschrien. Ihre Finger waren rot. Blut. Sie erinnerte sich an das klebrige Gefühl in ihrem Rucksack und an ihren Gedanken an die Schokolade.
»Komm besser mit!«, murmelte Torben und packte sie sanft am Arm, während Vanessa fortfuhr, jeden anwesenden Schüler mit Blicken zu durchbohren. Er führte sie durch die Menge und zog sie ein Stück auf ihr Zimmer zu. Dort erst ließ er sie los. »Was soll das?«, fragte er. Rica sah jetzt, dass seine eigenen Finger auch blutverschmiert waren. Klar. Er hatte die Taschenlampe gehalten.
»Ich … ich weiß nicht. Es war dunkel, als ich die Lampe aus dem Rucksack geholt habe.« Rica starrte das Blut an ihren Fingern an und versuchte, die Übelkeit zu unterdrücken, die in ihr aufstieg. Bilder stiegen vor ihrem inneren Auge auf. Jo, die in einer Lache aus Blut und Rosenblüten lag. Nein. Das hier konnte nicht Jos Blut sein. Das war ein zu verrückter Gedanke.
Reiß dich zusammen, Rica, du tickst hier langsam aus. Dennoch spürte sie, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Es kostete sie riesige Anstrengung, sie wieder hinunterzuschlucken. »Ich habe keine Ahnung, wie das Blut dahingekommen ist«, wiederholte sie.
Torben schenkte ihr einen etwas eigenartigen Blick. »Sehen wir eben mal in deinem Rucksack nach«, schlug er vor.
Sie nickte und führte Torben zu ihrem Zimmer.
Das
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