Optimum - Kalte Spuren
finde ja immer noch, dass Simon derjenige ist, der am ehesten in Frage kommt«, meinte Nathan. »Irgendwas stimmt mit dem Kleinen doch nicht.«
Rica zuckte mit den Schultern. »Er ist ein bisschen seltsam«, gab sie zu, »aber er ist doch noch ziemlich klein. Ich weiß nicht, ob er so was durchziehen würde. Ich persönlich glaube, dass Saskia dahintersteckt. Die hatte doch die ganze Zeit schon was gegen mich, da hat sie uns sicher hinterherspioniert. Im Dorf unten war sie auch.«
»Du bist doch nur eifersüchtig«, knurrte Eliza. »Wirklich, Rica, ich bin müde. Ich habe für heute die Schnauze voll von Anschuldigungen und Nachforschungen. Können wir nicht wirklich einfach schlafen gehen und morgen weiterreden?«
Rica wollte etwas Unfreundliches erwidern, aber dann wurde ihr bewusst, wie müde und abgekämpft Eliza aussah. Sie war sehr blass, und unter ihrem linken Auge begann sich ein beeindruckendes Veilchen auszubreiten.
»Okay«, meinte sie. »Sorry. Okay.« Allerdings warf sie Nathan einen vielsagenden Blick zu. Eliza mochte vielleicht erledigt sein, aber Rica war fest entschlossen, heute Nacht noch den Ordner an sich zu bringen. Und wie sie Nathan kannte, wollte der sicher dabei sein.
In diesem Moment ging das Licht aus.
Ricas erste Reaktion war nur Ärger. »Was ist denn jetzt wieder schief …« , fing sie an, aber dann begann der Tumult auf dem Flur. Eine Mädchenstimme schrie, Füße trampelten über die Bohlen, und irgendjemand rief nach einer Taschenlampe. Eliza stöhnte nur und drehte sich um, offensichtlich nicht gewillt, aufzustehen. Nathan war aufgesprungen und rannte schon zur Tür, als Rica sich erst auf die Füße gekämpft hatte.
»Warte!«, rief sie ihm hinterher, doch er hörte nicht auf sie. Rica fluchte und kramte in ihrem Rucksack nach der kleinen LED -Lampe, die sie als Schlüsselanhänger verwendete. Ihre Finger streiften irgendetwas Pelziges, aber sie achtete nicht weiter darauf. Endlich spürte sie den Schlüsselbund und zog ihn heraus. Irgendwas Schmieriges klebte an ihren Fingern, vermutlich war ihre Schokoladentafel geschmolzen. Darum konnte sie sich nachher kümmern. Ärgerlich über Nathan, der nicht einmal eine Minute hatte warten können, stürmte Rica auf den Flur hinaus.
Vor Sarahs Zimmer hatte sich schon eine beachtliche Menschenmenge versammelt. Es war dunkel, nur hier und dort war der bläuliche Schein von Handydisplays zu sehen. Rica verzog das Gesicht. Niemand hatte mehr eine richtige Taschenlampe. Das nächste Mal würde sie eine mitnehmen.
Sarah war vollkommen aufgelöst. Sie klammerte sich an Vanessa und schluchzte vor sich hin. Immerhin hatte sie aufgehört zu schreien.
»Was ist denn los?« Rica drängte sich durch die übrigen Schüler bis zu Sarah.
»Jemand war in unserem Zimmer«, gab Vanessa zurück. Auch ihre Stimme klang hysterisch, aber sie hatte sich ein bisschen besser unter Kontrolle. Rica richtete ihre Taschenlampe erst auf Sarah und Vanessa, dann auf deren Zimmertür. Es war nichts Auffälliges daran zu erkennen.
»Woher wollt ihr das wissen?«
»Sarah ist in ihn hineingelaufen«, meinte eines der kleineren Mädchen, dessen Namen Rica nicht kannte. Rica spürte, wie es sie kalt durchlief. Der Psychopath. Sie versuchte, den Gedanken abzutun, ganz gelang es ihr allerdings nicht.
»Wo ist er hin?«, fragte sie. »Hat er ihr was getan?«
Sarah beruhigte sich weit genug, um mit dem Kopf zu schütteln. »Das Licht war aus, und ich war auf der Treppe«, stieß sie zwischen Schluchzern hervor. »Also bin ich zum Zimmer gelaufen. Ich … ich hab eine Taschenlampe da.« Sie schüttelte sich. »Als ich die Tür aufgemacht hab, war er da. Ein Mann. Ein fremder Mann. Hat mich einfach zur Seite gestoßen.« Wieder fing sie an zu schluchzen.
»Wo ist er hin?«, wiederholte Rica. Sie ließ den Strahl ihrer winzigen Taschenlampe durch den Gang wandern. Der Mann – wenn Sarah ihn denn tatsächlich gesehen hatte – konnte ja nicht weit gekommen sein. Als das Geschrei losging, waren ja sofort die anderen Schüler angekommen. »Und warum hat noch niemand das Licht wieder angemacht?« Wo zur Hölle steckt Frau Friebe? Sollte sie nicht diejenige sein, die sich um diese Sache kümmert?
»Ich geh mal nach den Sicherungen sehen.« Saskias Stimme erklang ruhig aus dem Hintergrund.
Rica presste die Lippen kurz aufeinander, brachte dann aber hervor: »Gut, mach das.« Sie selbst trat näher zu Sarah. Seltsam, die andere so vollkommen aufgelöst zu sehen, half ihr
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