Opus 01 - Das verbotene Buch
wissen sollen, in welche Richtung er sich wenden würde? Nein, deswegen brauchte er sich keine Sorgen zu machen – die Wildnis hier im Fichtelgebirge war so weitläufig, dass selbst Cellaris vier Dutzend Purpurkrieger nicht ausreichen würden, um einen einzelnen Flüchtling aufzuspüren. Und erst recht nicht, wenn der mit den Wäldern seit seinen Kinderjahren so vertraut war wie Amos von Hohenstein.
Es hatte etwas Tröstliches für ihn, sich in Gedanken bei seinem vollen Namen zu nennen. Und wie zum Beweis, dass einem Edlen von Hohenstein alles leicht und glücklich von der Hand ging, führte der Pfad ihn nur Augenblicke später zu einer Lichtung mit einem kleinen, fast kreisrunden See. Es war ein zauberhafter Ort, der Amos auf Anhieb gefiel – Schilf und Buschwerk umrankten das Gewässer, ein milder Wind fächelte durch die Zweige und die Sonne malte ein Mosaik aus Schatten und Licht auf den grünen Spiegel des Sees. Amos beschloss, hier zu bleiben – für eine Rast zumindest, vielleicht auch für die Nacht oder gar noch länger, falls er im Umkreis einen sicheren Unterschlupf fand. Denn der Tag neigte sich bereits wieder – mindestens zwanzig Meilen musste er hinter sich gebracht haben, seit er aus dem Felsschacht geklettert und Hals über Kopf davongelaufen war.
Also hatte er die Bücherjäger bestimmt längst abgehängt.
2
W
ie ein Bluthund,
der eine Fährte gefunden hatte, so riss Hannes den Unterzensor hinter sich her. Skythis hatte ihm den Strick unterhalb der Achseln um den Rumpf gebunden: »Nur zu deinem Besten, Johannes, damit du die Beute aufspürst, dich aber nicht noch ärger vergiftest.« So hatte der Unterzensor es ihm erklärt und ein Teil von Hannes liebte Skythis für diese Fürsorglichkeit.Ein anderer Teil von ihm dagegen hasste den Strick ebenso wie den Mann, der ihn angebunden hatte und das Ende des Seils um seine plumpe Hand geschlungen hielt. Und dieser Teil von ihm wurde mit jedem Augenblick stärker, so wie sich Hannes’ Hinken mit jedem Schritt noch ein wenig mehr verlor.
Er schnellte voran, sprang und hüpfte, taumelte und fing sich wieder. »Nicht so ungestüm«, knurrte es hinter ihm, aber Hannes achtete immer weniger auf Skythis. Er musste das Teufelsbuch wieder in seinen Besitz bringen, so schnell wie irgend möglich. Er meinte platzen zu müssen, in tausend Einzelteile zu zerspringen, wenn er das höllisch wundervolle Schriftwerk nicht auf der Stelle wieder in die Hände bekam. Und diesmal würde er nicht einen Augenblick lang zögern, es zur Gänze in sich hineinzuschlingen.
Im Rennen und Springen flüsterte Hannes unaufhörlich einzelne Satzfetzen, ja ganze Sätze aus dem
Buch der Geister
vor sich hin. »
Die Nacht war lange schon … Edle Dame, schenkt mir … dass der Spiegel neben ihm selbst auch seine Geliebte … Laurentius beugte sich ihr entgegen … Der Spiegel war von seinem Atem beschlagen … fuhr er mit dem ganzen Arm bis zur Schulter wie in einen Eimer voll Wasser hinein
.«
Bis zu dieser Stelle hatte er vorhin hastig gelesen, als der verfluchte kleine Bücherteufel ihm das Schriftwerk neuerlich entrissen hatte und auf und davon gelaufen war. Und hätte Skythis ihn nicht wie einen Hofhund an den Baum gebunden, so wäre Hannes dem kleinen Teufel augenblicklich hinterhergehetzt und hätte das Geisterbuch längst wieder an sich gebracht.
»Langsamer, Hannes, du brichst dir noch den Hals.« Der Unterzensor atmete keuchend. In Wahrheit fürchtete er jedoch nicht um den Hals seines Hilfsschreibers, sondern einzig um seinen Rang als oberster Herr dieser Jagd.
»Löst den Knoten, Herr«, gab Hannes über die Schulter zurück, »und ich hole das Teufelsbuch im Nu.«
Anstelle einer Antwort zog Skythis mit solcher Gewalt am Strick, dass Hannes nach hinten umgerissen wurde. Der Unterzensorkauerte sich neben ihn ins Unterholz und atmete zunächst nur weiter keuchend aus und ein. Hannes sah die Speicheltropfen, die aus dem halb offen stehenden Mund des Unterzensors auf ihn herunterspritzten, doch er wandte seinen Blick nicht ab. »Und was würdest du mit dem Buch anfangen, wenn dir dein Wunsch erfüllt würde?«
»Ich würde es Euch bringen, Herr, auf dem schnellsten Weg.« Hannes antwortete, ohne mit der Wimper zu zucken, und in diesem Moment glaubte er auch aufrichtig, dass er ganz genau so handeln würde. »Nicht einen Blick würde ich hineinwerfen, um meine Seele nicht mit den dämonischen Giften zu beschmutzen – ich schwöre es bei meiner Seligkeit.« Es war
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