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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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würde. Er war nun einmal der drittgeborene Sohn, und obwohl seinen Eltern klar sein musste, dass er das weitaus begabteste ihrer Kinder war, hatten sie seinen Willen nicht erfüllt. August, sein ältester Bruder, hatte den Hof geerbt, Franz war nach Heidelberg geschickt worden, um die Juristerei zu erlernen – nur er, der Drittgeborene, war leer ausgegangen. Dabei hatte er schon als kleiner Knabe davon geträumt, Philosophie und Dichtkunst, alte und entlegene Sprachen zu studieren und einer der berühmtesten und gelehrtesten Männer des Abendlandes zu werden. Stattdessen aber hatte er mit allem gebrochen, mit seiner Familie genauso wie mit seinen törichten Träumen, und war nach Nürnberg gegangen. Dort war es ihm mit äußerster Beharrlichkeit gerade so geglückt, sich zum Hilfsschreiber bei der Reichszensurbehörde hochzudienen. Einer Behörde, deren wichtigste Aufgabe es war, den Druck und die Verbreitung unverantwortlicher Wunsch- undWahngebilde zu unterbinden – jedenfalls nach der Überzeugung von Jan Skythis, die Hannes Mergelin aus tiefstem Herzen teilte.
    Zumindest einerseits. Zumindest jener eine Teil von Hannes, der allerdings mehr und mehr an Einfluss verlor. Auch jetzt war es bereits wieder der andere, mittlerweile weit stärkere Hannes, der auf die Frage des Unterzensors nach den vergossenen Tränen antwortete: »Nur eine Mücke im Auge, Herr.«
    Offenbar gewarnt durch den veränderten Tonfall seines Hilfsschreibers, fasste Skythis den Strick fester. »Lasst uns weitergehen«, sagte Hannes, »auch ich spüre, dass wir kurz vor dem Ziel sind.«
3
    A
mos zog sich Wams und Hemd
über den Kopf und warf beides neben sich ins Ufergras. Seine Kleidungsstücke waren starr vor Schweiß und Schmutz und Höttsches Blut. Er beugte sich nach vorn, wusch sich die Hände im köstlich kühlen Wasser, formte sie dann zur Schale und trank. Immer wieder schöpfte er neues Wasser und stillte erst gierig, dann voller Behagen seinen Durst. Die letzte Ladung goss er sich über den Kopf und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Wie wunderbar erfrischend das war!
    Er nestelte sich die Schuhe von den Füßen, rutschte noch näher an die Böschung und tauchte seine Füße ins Wasser. Seerosen trieben auf dem grünen Spiegel. Frösche hockten träge im Uferschlamm. Ein linder Wind fächelte durch Farn und Schilf. Die friedliche Stimmung dieses Ortes umfing Amos und lullte ihn ein. Aber er würde nicht hier im Gras einschlafen, das durfte ihm auf gar keinen Fall passieren. Auch wenn es so gut wie unmöglich war, dass die Bücherjäger ihn hier aufspüren würden – zwanzig Meilen tief im Wald.
    Sein Bündel lag neben ihm im Gras, ebenso das Knotenseil. Er schnürte das Bündel auf, holte die Wegzehrung heraus, die Kronusfür ihn eingepackt hatte, und breitete alles vor sich aus. Brot, Käse und den Räucherfisch, in mundgerechte Happen zerlegt.
    Er schob sich einen Fischhappen in den Mund und ließ seine Gedanken schweifen. Von Gewässern ging ein eigener Zauber aus, das hatte er schon als kleiner Knabe so empfunden. In dem Teich unter Burg Hohenstein war er an heißen Sommertagen oftmals stundenlang umhergeschwommen oder hatte im flachen Uferwasser gelegen und vor sich hingeträumt. Tief unter ihren Füßen war die ganze Erde von Flüssen und Quellen und Seen durchzogen – auch das hatte sein Vater ihm einmal anschaulich beschrieben. »Wir alle sind Geschöpfe des Wassers«, so hatte Ferdinand von Hohenstein erklärt, »nur vergessen wir es immer wieder, sobald wir unsere Füße auf trockenes Land gesetzt haben.«
    Sonderbar, wie all diese Szenen aus ferner Vergangenheit wieder in ihm lebendig wurden. Amos schnitt sich einen Kanten vom Brotlaib ab und schob sich abwechselnd ein Stück Räucherforelle und einen Brocken altbackenes Brot in den Mund. Zwischendurch beugte er sich immer wieder vor, schöpfte sich die Hände voll Wasser und trank.
    An diesem friedvollen Ort kam ihm alles, was er seit gestern erlebt hatte, ganz und gar unwahrscheinlich vor. Die Purpurkrieger und der Inquisitor auf seinem Thron. Das Klirren der Schwerter und das Sirren der Stahlpfeile im Palas und die Schmerzensschreie der verwundeten Räuber. Frater Meinolf, wie er von einem zum anderen gegangen war, um zu trösten und zu töten. Dann Kronus’ Hof, die Flammen, die zu Ruß und Asche verbackenen Bücher. Und schließlich die Jagd – Jagd auf ihn selbst, als ob er ein Hase oder Rehbock wäre, und Jagd auf das Buch.
    Schwarz und schmal lag es neben

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