Opus 01 - Das verbotene Buch
geringen Grades an, wie die meisten der fahrenden Leute. Aber er war überzeugt davon, dass in höhere Grade eingeweihte Magier mithilfe der Geister grenzenlose Kräfte erlangen könnten. Sich auf geistigem Weg an weit entfernte Orte zu begeben, war für diese Zauberer nur eine einfache Übung. Ebenso konnten sie sich in der Zeit bewegen – in die Vergangenheit zurück oder sogar in die Zukunft voraus, um nachzuschauen, wie sich bestimmte Angelegenheiten entwickelten.In den Gang der Dinge dort einzugreifen, war ihnen jedoch strengstens untersagt – die Geister, sagte er einmal, verbannten Magier, die gegen dieses Gesetz verstießen, unnachsichtig an die grässlichsten Orte, gegen die selbst die christliche Hölle ein lieblicher Apfelgarten sei.
Hatte dein Vater denn keine Angst vor der Inquisition? Ich meine, wenn er solche Spottreden gegen die Christen und ihre Priester führte? Mein Vater war da viel vorsichtiger oder vielleicht ängstlicher – wenn er von Heiden oder Geistern redete, hat er immer nur geflüstert und sich andauernd umgeschaut, ob ihm auch niemand Fremdes zuhören konnte.
Wenn Amos ihr seine Gedanken sandte, spürte Klara immer ein höchst angenehmes Kribbeln – vom Bauch aufwärts bis zur Kehle und zugleich hinter ihrer Stirn. Es fühlte sich an, als ob er mit einer Feder oder mit Geisterfingern flaumleicht von ihrem Nabel aufwärtsführe, und dabei liefen ihr in prickelnden Wellen wohlige Schauer über die Haut. Sie liebte auch seine Gedankenstimme, die seiner wirklichen Stimme so ähnlich war – bereits tief und männlich für seine kaum sechzehn Jahre, aber mit einem helleren, zerbrechlichen Unterton.
Mein Vater hatte vor nichts und niemandem Angst. Und manchmal, wenn er getrunken hatte, forderte er die kirchlichen Hexenjäger in der Schänke oder auf dem Marktplatz sogar lautstark heraus, es mit ihm aufzunehmen.
Oh, das wird deiner Mutter nicht gefallen haben.
Sie war auch nicht gerade ein ängstliches Pflänzchen, im Gegenteil – »ich bin wie die Frauendistel, die bitter schmeckt, aber alles Giftige aus dir herausschwemmt. Und wer mir näherkommt, als ich selbst es will, den zerkratze ich bis aufs Blut.« So hat sie sich selbst gern dargestellt, obwohl sie eigentlich eine liebe und empfindsame Frau war. Und die Kühnheit ihres Mannes hat sie bestimmt auch bewundert – trotzdem habe ich mehr als einmal gehört, wie sie ihn beschworen und sogar angeschrien hat, dass er uns alle durch sein loses Mundwerk in Lebensgefahr bringt.
Aber glaubst du denn, dass deine Eltern deshalb umgebracht worden sind – dass die Mordbrenner womöglich von den Kirchenmännern ausgesandt wurden?
Auf diese Frage wusste Klara keine Antwort. Im Liegen hob und senkte sie nur stumm die Schultern. So viele Male hatte sie gerade hierüber nachgegrübelt und mal dachte sie: Ja, bestimmt war es so, und dann wieder: Nein, das ergibt keinen Sinn. Sie hatte zwar öfter von Fahrenden erzählen gehört, die von der Inquisition verhaftet worden waren, aber dass die Hexenjäger gewöhnliche Mörder aussandten, anstatt durch Verhaftung und Verbrennung so viel Angst und Schrecken wie nur möglich zu verbreiten, kam in keiner einzigen dieser Geschichten vor.
Möglich ist es schon , antwortete sie schließlich. Aber eigentlich glaube ich nicht, dass die Hexenjäger dahinterstecken . Zumindest meine Mutter hätten sie genauso wie die arme Mona verhaften und als Hexe verbrennen können, und über kurz oder lang hätten sie das bestimmt auch gemacht.
Zwischen Bayreuth und Bamberg war Vera Thalgruber vielerorts wohlbekannt gewesen. Den Christenpriestern war sie ein Dorn im Auge, denn die predigten in ihren Kirchen, dass die leibliche Liebe zwischen Mann und Frau eine unverzeihliche Sünde sei. Ausnahmsweise erlaubt sei sie einzig dann, wenn die Liebenden von einem christlichen Priester getraut worden seien und wenn sie allein zum Zweck der Empfängnis das Lager miteinander teilten. Wenn aber Mann und Frau, oder Jüngling und Mädchen, sich aus lüsterner Begierde einander hingaben, ohne vor Gott und seinen Priestern verehelicht zu sein, so war das Sünde. Und wenn sie gar noch Vorkehrungen trafen, damit aus dieser Sünde keine Leibesfrucht hervorgehen konnte, so war dies abscheuliche Teufelei und wurde mit Höllenqualen bestraft.
Hinter ihrer Zeltwand aber gab sich Klaras Mutter alle Mühe, die Ängste der Mädchen und Frauen vor den angedrohten Höllenstrafen zu zerstreuen. »Wenn jene Mächte, die uns in die Welt gerufen
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