Opus 01 - Das verbotene Buch
sind: so unwissend, demütig und schwach. Gegen weise Weiber, Heilerinnen, Liebes- und Fruchtbarkeitskundige wie meine Mona – sie beschimpfen sie als Hexen und Teufelsbuhlinnen und fangen sie ein und verbrennen sie auf dem Scheiterhaufen. Angeblich um die Seelen der Satansjüngerinnen zu retten, aber worum es den Hexenjägern in Wahrheit geht, ist uns fahrenden Leuten seit Langem klar: Sie wollen nicht nur uns selbst, sondern auch jede Erinnerung an die Heil- und Zauberkünste vernichten, die uns aus ältesten Zeiten überliefert sind – hunderte und tausende Jahre, bevor die ersten Pfaffen kamen, um ihren heiligen Hokuspokus zu predigen. Und deshalb waren Mona und ich nicht einmal sonderlich erschrocken, als an jenem Abend im Juni vier Purpurkrieger unseren Wagen anhielten. Wir waren seit Langem darauf gefasst, und doch war es für mich, als ob sie uns mitten entzweihacken würden. Sie nahmen Mona mit und als ich sie drei Wochen danach wiedersah, stand sie an einen Pfahl gebunden auf dem Kirchplatz zu Bayreuth, mit zerschlagenem Antlitz, und die Flammen krochen an ihr empor.«
»Gütiger Gott, Karol – sie haben Mona verbrannt?«
Er schaute Klara von der Seite an und sein Gesicht sah wie in Stein gehauen aus. »Von welchem Gott redest du? Wie kann er gütig sein, wenn seine eifrigsten Anhänger so grausam und boshaft sind?«
Darauf wusste Klara keine Antwort. Sie hatte es ohnehin nur so dahingesagt – der christliche Himmel mit seinem bärtigen Gottvater und dem bartlosen Sohn, beide von Engeln und Heiligen umwimmelt, war für sie nur ein ferner, blasser Wahn gewesen, bis sie zu Mutter Sophia gekommen war. Und selbst dort, im Mädchenheim des Klosters Mariä Schiedung, war ihr der Christenglaubemit seinen vielerlei Verboten und Bußvorschriften fremd geblieben. Es war die Art und Weise, wie die Sesshaften in den Klöstern und Städten, von ihren festen Häusern aus, die Welt ansahen. Ein Glaube, der Klara vor allem auf Angst gegründet schien – Angst vor der rauschhaften Freude, vor der wilden Sprache des Herzens, vor der Kraft und Lust, die in den Leibern pulsierten, vor dem Zauber, der allen Tieren und Menschen, den Bäumen so gut wie den Steinen innewohnte und den sie niemals als gefährlich, gar als teuflisch empfunden hatte.
Ihre Eltern, Kai und Vera Thalgruber, waren als Christen getauft und trugen gut katholische Rufnamen wie alle Welt. Aber schon sie selbst waren Kinder fahrender Leute und von ihren Eltern einzig deshalb zur Taufe gebracht worden, damit die Pfaffen sie nicht als heidnische Teufelsjünger verfolgen konnten. Und genauso hatten es ihr Vater und ihre Mutter mit Klara gehalten: Sie war in einer Dorfkapelle unweit von Bamberg auf den Namen der heiligen Klara getauft worden, aber im Leben und Denken ihrer Eltern wie auch für die meisten fahrenden Leute spielten die christlichen Glaubensvorstellungen nicht die geringste Rolle. In den Kirchen priesen die Priester ihrer Gemeinde das sogenannte Jenseits als großartigste aller Belohnungen für ein sündenfreies Leben an – doch gerade diese Schattenwelt, in der körperlose Seelen für immer umherirrten, hielten viele fahrende Leute für einen Ort der Verdammnis, an den es sie möglichst nie verschlagen sollte.
Die meisten Fahrenden hätten sich selbst niemals als Heiden bezeichnet – so nannten nur die Priester all jene, die nicht ihrer Himmelslehre anhingen. Sie glaubten meist weder an gütige noch an grimmige Götter und sie besuchten keine aus Stein oder Brettern errichteten Kirchen, außer um gegenüber den Sesshaften den Schein zu wahren. Ihre Kathedralen waren die Wälder, mit den lebendigen Säulen der Bäume und dem Gewölbe der Wipfel, das vom Sonnen- oder Mondlicht flirrend durchbrochen wurde. Ihr Chorgesang war das tausendstimmige Tirilieren der Vögel unddem gemalten Firmament in den Kirchen zogen sie den wirklichen Himmel mit Sonne und Blitzen, Donner und Regengüssen vor.
Viele fahrende Schausteller, Wunderleute und Heilkundige waren zumindest ein wenig auch in den Zauberkünsten geübt. Zauberei war für sie nichts anderes als Anbetung der vielerlei Geister, die alles und jedes durchwebten und belebten, die beschwörende Bitte, dem Zaubernden bei dieser und jener Angelegenheit hilfreich zu sein: in Liebesdingen, bei der Linderung von Angst und Schmerzen oder auch, indem die Geister ihm erlaubten, fremde Gedanken heimlich mitzulesen. Doch das war bereits höhere Zauberkunst, die unter den Fahrenden kaum einer beherrschte.
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