Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
Dunkle Magie dagegen war bei ihnen geächtet und wurde so gut wie niemals ausgeübt – Schadenszauber, das Anhexen von Krankheit, Unglück, Unfruchtbarkeit. Kam es doch einmal vor, so empörten sich alle darüber und der Frevler wurde meist gebührend gestraft. Aber die Vorstellung der Christenpriester, dass Zauberei schlechthin teuflisch sei, kam Klara auch heute noch so unsinnig vor wie die Gleichsetzung von Körper und Hölle oder von Seele und Seligkeit.
    »Worum willst du oben auf dem Berg die Geister bitten, Karol?«
    Zu ihrer Überraschung bekam sie diesmal eine Antwort. »Du hast es doch längst erraten, Mädchen.« Er lächelte sie schwermütig an. »Sie sollen mich aus diesem Leben nehmen. Ob sie mich erhören, muss sich weisen – aber ohne Mona kann ich nicht länger hier sein.«
3
    S
ie lag neben Amos
im Halbdunkel unter der Wagenplane. Er war immer noch unruhig und schaute alle zehn Minuten zum Himmel hinauf. Aber dort ließ sich kein Falke blicken, und falls doch irgendwelche Raubvögel am Himmel über der Heidenkuppekreisten, so konnten sie schwerlich erspähen, was unten im Dickicht vor sich ging. So wild verwuchert war der Wald um sie herum unterdessen, dass sie wie in einer Röhre aus Stämmen und Ästen fuhren.
    Je höher sie kamen, desto düsterer wurde es. Der Wagen knarrte und ächzte, die Pferde schnaubten und Karols alte Schecke geriet hin und wieder aus Schwäche ins Straucheln.
    Karol hatte seit vielen Stunden kein Wort mehr gesprochen und schließlich hatte Klara ihn auf seinem Kutschbock sich selbst und seinen Erinnerungen überlassen.
    Er will sterben.
    Ich weiß, Klara.
    Der Ärmste – er kann ohne seine Mona nicht leben. Warum müssen die Christen nur so grausam hassen?
    Ich glaube, die meisten von ihnen hassen nicht mehr oder weniger als andere Leute. Böse und grausam sind nur ihre Kirchenmänner – die Inquisitoren und Purpurkrieger. Sie sprechen von Liebe und Verzeihen, aber sie verbreiten Angst und Tod.
    Er erinnert mich so sehr an meinen Vater.
    Erzähl mir von ihm, wenn du magst. Von deinen Eltern, von dir selbst und eurem Leben als fahrende Leute.
    Die Gesichter einander zugewandt, lagen sie unter der Kutschplane wie in einer dämmrigen Höhle.
    Kajetan oder kurz Kai, Klaras Vater, war unter den Fahrenden als tollkühner Kunstreiter berühmt gewesen. Er konnte auf dem Sattel stehend reiten, während sein Pferd in vollem Galopp war. Er konnte unter einem Apfelbaum hindurchpreschen und die vier besten Äpfel ernten, ohne auch nur hinzusehen – den ersten für Vera, den zweiten für Klara, die beiden anderen für ihn selbst und seinen Rappen, der Tharon hieß. Er konnte sich seitlich aus dem Sattel werfen und während Tharon scheinbar reiterlos weitergaloppierte, hing er, an Steigbügel und Zaumzeug geklammert, unsichtbar an der Flanke seines Rappen und schwang sich zum Erstaunen der Zuschauer plötzlich in den Sattel zurück. Auf Tharonstehend, konnte Kai Thalgruber mit Säbeln und brennenden Fackeln jonglieren, während sich der Rappe aufbäumte, mal nach links und dann wieder nach rechts sprang. Aber ihr Vater beherrschte auch eine Reihe stillerer Kunststücke, die vor allem das jüngere Publikum entzückten: Er konnte aus der leeren Luft Blumen pflücken, die er dann an die Kinder verteilte, und er konnte mit brummigem Bass ebenso wie mit quietschheller Kinderstimme sprechen, ohne dass seine Lippen sich bewegten. In seinem Innern lauerten immer mehrere höchst unterschiedliche Personen auf eine Gelegenheit, ihre Kunststücke vorzuführen – er konnte tanzen und Feuer schlucken und sogar Schlangen beschwören, und zwar mit Flötentönen, die er rein aus sich selbst hervorbrachte. Es klang genau wie eine Rohrflöte, so süß und schmelzend, aber Kai Thalgruber stand einfach da, die Hände in den Taschen, die Lippen nicht einmal sonderlich gespitzt, und atmete Flötentöne aus.
    »Wie kann in mir eine einzige Seele hausen, unsterblich oder nicht«, so hörte sie ihren Vater oftmals über den Christenglauben spotten – »wenn mein Körper doch ein halbes Dutzend Personen beherbergt?«
    Die stete Gegenwart der Geister, ihr vielfältiges Weben, war für ihn keine Frage des Glaubens oder Leugnens, sondern tief erfahrene Wirklichkeit. »Ohne die Geister wären wir so leblos, wie die Steine uns erscheinen«, war eine andere seiner Weisheiten, »aber weil die Geister alles durchdringen, sind selbst die Felsen von ihrem Atem durchweht.«
    Er selbst sah sich nur als Zauberkundigen

Weitere Kostenlose Bücher