Opus 01 - Das verbotene Buch
Blasrohre aus ausgehöhlten Knochen sein, mit denen sich die Pfeile aus dem Köcher abschießen ließen.
Er spürte ein Ziehen und Kribbeln, das von seinem Nabel aufwärts lief, kurz darauf das nun schon vertraute Sausen hinter seiner Stirn.
Seid mir gegrüßt, Wächter von Rogár .
Verwundert sah Amos zu Klara. Aber sie schien gar nichts mitbekommen zu haben, und es war auch gewiss nicht ihre Gedankenstimme, mit der hier gesprochen wurde.
Wir verneigen uns mit Freude und Schmerz, edler Garbún. Die Wächterin lächelte Karol schwermütig zu. Sie hatte schimmernd schwarze Haare, die ihr in üppigen Locken unter dem Hut hervorquollen und bis auf die Schultern fielen.
Haare wie meine, durchfuhr es Amos. Mit ihrer schlaksigen Gestalt, den hellblauen Augen sah sie wahrhaftig fast wie ein weibliches Ebenbild seiner selbst aus.
Die beiden Wächter legten ihre Hände vor der Brust aufeinander und verneigten sich tief vor Karol, den sie offenbar unter dem Namen Garbún kannten.
Aber wie war es möglich, dass sie die Gedankensprache beherrschten, die man doch nur durch
Das Buch der Geister
lernen konnte?
Seid auch ihr uns gegrüßt . Der Jüngling deutete eine Verneigung in Amos’ und Klaras Richtung an. Die Gefährten des edlen Garbún sind in Rogár immer willkommen .
Amos erwiderte die Verneigung, und abermals durchzuckte ihn der Gedanke: Wie Spielfiguren sind wir, wie Spiegelungen ausdem
Buch der Geister
– mit seinem blonden Haar, der hellen Haut und den auffällig grünen Augen sah der Wächter wie ein männliches Spiegelbild von Klara aus. Wieder schaute er zu ihr: Klara musterte mit offenkundiger Verblüffung die beiden Wächter, aber was auf dem Gedankenweg zwischen ihnen und Karol – oder Garbún – gesprochen wurde, konnte sie anscheinend noch immer nicht verstehen.
Der Puppenspieler legte seine Arme um die Schultern von Klara und Amos. »Kommt morgen wieder hierher«, sagte er in abschließendem Tonfall. »Und nun macht rasch – die Dunkelheit bricht schon herein.« Er nahm die Arme von ihren Schultern und reichte Amos seinen Wanderstock. »Nimm ihn an dich, so findet ihr leicht zurück. Eine gute Nacht wünsche ich euch, und ein langes, friedvolles Leben.
Llóma – fárá – móhagár
.«
6
S
ie lagen im Dunkeln
unter der Wagenplane und zerflossen fast in ihrem eigenen Schweiß.
Llóma
– Rausch der Liebe , summte es in jeder Faser von Amos’ Körper, und er spürte, dass es Klara nicht anders erging. Aber wie sehr es ihn auch drängte, Klara zu umarmen, seinen Mund auf ihre Lippen zu drücken, sich eng an ihren Körper zu schmiegen – sie mussten in Herzensdingen enthaltsam bleiben, solange sie nicht für die dritte Stufe bereit waren.
Ohnehin befanden sie sich an einem Ort, der alles andere als geheuer war. In Amos’ Hand zuckend wie ein Lebewesen, hatte Karols Stab vorhin das Dickicht vor ihnen geöffnet und sie durch den dunklen Wald zurück zu ihrer Lichtung gezogen. Und kaum hatten sie den Buchenhain hinter sich gelassen, da hatten die Nachtvögel begonnen, sie zu belauern und zu umkreisen. Eulen und Käuze, falls es sich um nichts Ärgeres handelte, die mit flappendem Flügelschlag zwischen den Bäumen schwebten, graue Schemen in der Schwärze, mit glimmenden Augenpaaren, bernsteingelbund glühend grün. Ein paar Mal musste Amos sogar drohend den Stecken des Puppenspielers schwingen, damit die Vögel ihnen nicht zu nahe kamen.
So waren sie erleichtert, als sie schließlich unter der schützenden Plane lagen, auch wenn es hier im Wagen schrecklich heiß war. Selbst durch die Plane aus grobem Sacktuch hindurch waren die glühenden Augenpaare zu sehen, die über ihnen dahinschwebten. Die Nacht war erfüllt von den krächzenden Schreien der Eulen und Käuze.
Was glaubst du, fragte Klara, geht da draußen vor?
Was soll vorgehen? Karol bittet die Geister um seinen Tod. Aber ich glaube, sie werden seinen Wunsch nicht erfüllen. Denn ich spüre, dass Kronus ihn zu uns gesandt hat.
Kronus? Aber meinst du denn, dass er lebt?
Manchmal fühle ich ihn fast so klar und nah in meinem Innern wie früher. Er ist gefangen, er leidet, er ist vielleicht sogar schwer verwundet, aber er lebt. So kommt es mir dann jedenfalls immer vor. Aber dann wieder suche ich ihn vergeblich und denke: Er ist tot.
Sie beugte sich über ihn, im Dunkeln nur ein duftender Schatten, und ihre Hand streichelte über sein schweißnasses Gesicht. Ich weiß, was du leidest, denn wenn ich an Mutter Sophia denke, geht es mir
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