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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Leichnam entgegenstreckten, andere noch im Geäst aufwärtskletterten und die beiden Wächter am Seil sich mit aller Kraft in den Boden stemmten, um den Toten oben in der Schwebe zu halten – gerade da kam mit metallischem Sirren eine Streitaxt herbeigeflogen und grub sich um Haaresbreite neben Amos in den Stamm.
    Holz splitterte mit fiependem Laut. Amos fuhr herum und warf sich noch in derselben Bewegung auf Klara und riss sie mit sich hinter einem Felsbrocken in Deckung. Keine zehn Schritte unter ihnen standen der Bücherjäger Skythis und ein halbes Dutzend gepanzerter Männer zwischen den Buchen. Einer von ihnen trug eine hölzerne Hucke auf dem Rücken, mit einer vollkommen ausgemergelten Kreatur darin, die gurgelte und knurrte und hämmerte mit knochenspitzen Fäusten wie besessen auf Schultern und Schädel ihres Trägers ein.
9
    D
ie Gepanzerten hielten allesamt Gewehre
in der Hand und ohne dass auch nur ein einziges Wort gesprochen worden wäre, eröffneten sie das Feuer. Sie schossen auf die Wächter amBoden und beide stürzten augenblicklich hin und blieben reglos liegen. Sie rannten auf die Buche zu, verteilten sich dabei zu einem Halbkreis und feuerten im Rennen auf den Baum. Aus dem Wipfel und von tieferen Ästen fielen die Wächterinnen und Wächter herunter, blutend, die Münder aufgerissen zu lautlosen Schreien. Auch die schwarzlockige Wächterin, die Amos aufs Haar glich, stürzte aus der Baumkrone herab, und Hand in Hand mit ihr der grünäugige Wächter, der wie ein männliches Spiegelbild von Klara aussah. Sie fielen mit den Köpfen voran und streckten nicht einmal die Hände aus, um sich vor dem ärgsten Aufprall zu schützen. Wie Lumpenpuppen fielen sie hin und blieben halb übereinander liegen. Ihre Gesichter blutig und zerschlagen, ihre Hälse und Gliedmaßen auf eine Weise verrenkt, die nur bei Puppen und bei Toten möglich war.
    Die überlebenden Wächter in der Buche hatten unterdessen ihre Blasrohre an die Lippen gesetzt und schossen gefiederte Pfeile auf die Bücherjäger ab. Einer der Gepanzerten ging zu Boden, während der in roten Schlamm gehüllte Leichnam krachend aus der Krone niederstürzte und einen weiteren Gepanzerten unter sich begrub. Der begann zu schreien und versuchte, sich unter Schlamm und Leichnam wieder hervorzuwühlen, und gerade da ging der Baum voll verwundeter und kämpfender Wächter in Flammen auf.
    Wer von den Angreifern die Fackel geworfen hatte, der Wölfische oder einer der Gepanzerten oder vielleicht sogar Johannes in seiner hölzernen Hucke – Amos wusste es nicht, er hatte Klara längst bei der Hand gepackt und rannte mit ihr Hals über Kopf davon.
Das Buch der Geister
steckte sicher unter seinem Gürtel, aber hinter ihnen pfiffen die Kugeln durch den heiligen Hain und zwischen den Bäumen waberte Pulverdampf. Die Bücherjäger fluchten und schrien, während die Wächter noch immer völliges Stillschweigen bewahrten, entweder weil keiner von ihnen mehr am Leben war oder weil sie ihr Schweigegebot bis in den Tod nicht brechen wollten. Jedenfalls schallten nur die Stimmen der Angreiferdurch den Wald, ihre Schüsse, ihr Keuchen, ihre stampfenden Schritte, so als ob sie gegen Widersacher kämpften, die es allein in ihrer Einbildung gab.
    Amos keuchte, seine Lunge und Kehle brannten, aber er rannte weiter und weiter und zog Klara mit sich. Am Fauchen der Flammen konnte er hören, wie das Feuer von Baum zu Baum hinter ihnen hersprang und mit jeder heiligen Buche, die es in sich hineinfraß, noch größer und gieriger wurde. Im Rennen schwenkte er Karols Stecken immer wieder vor sich durch die Luft, wie er es gestern bei dem Puppenspieler gesehen hatte. Aber der Wanderstock schien seine Kraft verloren zu haben, oder Amos hatte sich überhaupt nur eingebildet, dass Karol mit seinem Stecken eine Art magischen Übergang geöffnet hatte – vom Fichtendickicht zum Buchenhain, von der gewöhnlichen Welt ins heidnische Heiligtum Rogár.
    Unterdessen war die Nacht hereingebrochen und der ganze Wald hinter ihnen brannte. Flammensäulen so hoch wie die Kirchtürme in Nürnberg loderten zum Himmel empor und immer rascher sprang das Feuer den Buchenhain hinab. Noch waren sie der fauchenden Flammenwalze einige Dutzend Schritte voraus, aber Millionen von Funken schwirrten durch die Luft. Schon fingen die ersten Bäume um sie herum Feuer und nur wenige Augenblicke später ging gerade vor ihnen eine ganze Reihe mächtiger Buchen in Flammen auf. Schauer von Funken und

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