Opus 01 - Das verbotene Buch
Spiritus mit ihnen allen gespielt hatte und ob Valentin Kronus noch am Leben war. Das alles würde sich nun aufklären, bei ihrem Treffen mit dem Hofkaplan noch an diesem Abend, so jedenfalls hatte es sich Amos zurechtgelegt. Denn das Opus Spiritus hatte ein gutes, kein teuflisches Werk geschaffen, und schon deshalb hätte die Bruderschaft niemals gebilligt, dass unschuldige Menschen dafür zu Schaden oder gar ums Leben kämen.
Unten auf dem Fluss stakte der muskelstarrende Fährmann mit immer gleichen Stößen sein stumpfnasiges Schiff vom einen zum anderen Ufer. Gerade hielt er erneut auf den hiesigen Landesteg zu und sein einziger Passagier war ein Jüngling zu Pferde, der Amos sonderbar bekannt vorkam. Er beschirmte seine Augen gegen die tief stehende Sonne, um den jungen Mann genauer zu betrachten. Vielleicht war es auch weniger der Reiter selbst als das schimmernd weiße Pferd, das er schon einmal gesehen hatte – und nun wusste er auch wieder, wo das gewesen war.
»Siehst du den Reiter auf dem Fluss, Klara? Das muss der Bote sein, den Kronus damals nach Nürnberg gesandt hat.«
»Wohin er zu dieser Stunde wohl reitet?« Klara bog sich ein wenig zur Seite, um an ihm vorbeizusehen. Sie hatten sich im Sattel immer wieder abgewechselt, und in den letzten Stunden hatteKlara hinter ihm gesessen und ihn in halbem Dämmerschlaf mit ihren Armen umklammert.
»Keine Ahnung – jedenfalls ist er in großer Eile.«
Tatsächlich lenkte der Reiter sein Pferd bereits zum Ufer hin, noch ehe die Fähre angelegt hatte. Gerade als der Fährmann sich zum Steg hinüberbeugte, um sein Schiff festzumachen, gab der Jüngling dem Schimmel die Sporen und sprang mit einem gewaltigen Satz über ihn hinweg ans feste Land. Erstaunt sahen sich Amos und Klara an – der Reiter überquerte die Uferstraße und preschte geradewegs zu ihnen auf den Hügel hinauf.
»Sei unbesorgt, Klara. Kronus hat ihm vertraut, also dürfen wir es auch.« Doch vorsichtshalber behielt Amos ihn scharf im Auge und legte seine Rechte auf den Griff seines Kurzschwerts. So nahe vor dem Ziel würden sie sich keine Unachtsamkeit mehr erlauben.
Der Reiter brachte sein Pferd so dicht vor ihnen zum Stehen, dass die Füchsin schnaubend zurückwich. Er war allenfalls achtzehn, neunzehn Jahre alt und hatte ein freundliches, offenes Gesicht. Das braune Haar hing ihm windzerzaust in die Stirn und auf die schmalen Schultern. »Ihr seid doch Amos von Hohenstein?« Sein Gewand war mit Farbklecksen übersät, ebenso die feingliedrige Hand, die er Amos zum Gruß hinstreckte. »Verzeiht, dass ich mich nicht zuerst vorgestellt habe – Hans Wolf, Schüler des berühmten Malers Michael Wolgemut, von dem Ihr schon einmal gehört haben dürftet. Der Meister schmückt drüben in der Bischofsburg die Kapelle mit Engeln und Heiligen aus und wir Lehrlinge dürfen ihm hier und dort behilflich sein.« Er lächelte und hob dabei eine Braue, wie um anzudeuten, dass in Wahrheit den Schülern die ganze Arbeit aufgebürdet sei. Aber er schien es dem Berühmten nicht krummzunehmen, und genauso wenig konnte man ihm verübeln, dass er in einem Atemzug sich selbst rühmte und seinen Meister anschwärzte, und das alles, bevor sie einander auch nur einen guten Tag gewünscht hatten.
Lächelnd beugte sich Amos vor und schüttelte die golden und blau betupfte Hand. »Der bin ich«, sagte er, »und als ich Euch das letzte Mal gesehen habe, hätte ich Euch am liebsten gewünscht, dass Ihr Euch den Hals brecht.«
Hans Wolf wurde ein wenig bleich. »Nun, das habt Ihr gottlob nicht getan.« Er rieb sich den Nacken.
»Ihr glaubt doch nicht etwa, ich könnte zaubern?«
»Um Himmels willen!« Hans Wolf schaute sich verstohlen nach links und rechts um. »Diesen Punkt sollten wir hier lieber nicht erörtern – wenn überhaupt.« Er wirkte mit einem Mal ziemlich durcheinander und kleinlaut. »Verzeiht«, sagte er nun auch zu Klara, »Ihr müsst ja glauben, dass ich in einer Köhlerhütte aufgewachsen wäre.« Sein Lächeln kehrte zurück und mit ihm ein wenig von seiner vorherigen Unbekümmertheit. »Lasst mich Euch versichern, verehrte Klara, dass ich Euch nicht weniger bewundere als Euren vortrefflichen Gefährten.«
Klara lächelte ihm freundlich zu. Man kann einfach nicht anders, als ihn anzulächeln .
Aber er macht sich über uns lustig, oder?
Bestimmt nicht. Ich glaube, er fürchtet sich sogar vor dir. Er scheint anzunehmen, dass du ihn mit einem Fingerschnipsen in einen Frosch verzaubern
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