Opus 01 - Das verbotene Buch
Bewegung.
Das Dickicht beiderseits ihres Pfades brannte bereits lichterloh, aber sie mussten hindurch und dann nach links auf den breiterenWeg, der sie aus der Wildnis hinausführen sollte und jenseits davon auf die Straße nach Bamberg zurück. Doch gerade dort, wo ihr Pfad in den Weg einmündete, stand breitbeinig ein gepanzerter Bücherjäger.
Er hielt ein Gewehr in der Hand und auf seinen Schultern saßen links eine gewaltige Eule, rechts ein riesenhafter Nachtkauz. Obwohl er Maske und Helm aus fahlgrauem Flickenleder trug, war deutlich zu erkennen, dass ihm das rechte Ohr fehlte. Klara warf sich in ihrem Sattel zur Seite, atmete tief ein und richtete sich wieder auf und hielt mit der Füchsin weiter auf den Gepanzerten zu. Und bevor Amos auch nur überlegen konnte, was sie da gerade gemacht hatte, hob der Mann sein Gewehr und Klara spuckte ihm einen Schwall Feuer ins Gesicht und der Bücherjäger schrie auf, lautlos im Fauchen der Flammen, ließ sein Gewehr fallen und riss die Hände vor seine brennende Maske.
Mit wildem Krächzen und Flügelschlagen waren die Raubvögel von seinen Schultern aufgestoben, und Amos hob seinen Stecken und traf beide, Eule und Nachtkauz, mit einem einzigen gewaltigen Hieb. Die Vögel stürzten neben dem Gepanzerten zu Boden und ihr Gefieder ging gleichfalls in Flammen auf. Auch Karols Stecken brannte mittlerweile lichterloh und Amos spürte ein wildes Bedauern, als er den Stab in den Nachthimmel emporwirbeln ließ und die eingeritzte Formel ein letztes Mal auflodern sah:
Llóma – fárá – móhagár
. Er umschlang Klara mit beiden Armen, und sie trieb die Füchsin in vollem Galopp den Weg hinab, sodass das Feuer und die Wildnis mit all ihren Wundern und Schrecken endlich hinter ihnen zurückblieben.
Kapitel IX
1
A
m Abend des 11. September
im 1499. Jahr des Herrn erreichten Amos und Klara das Ufer der Regnitz. Nachdem sie mehr als zwei Tage lang zu zweit auf der Füchsin geritten waren, fühlten sie sich bis auf die Knochen durchgeschüttelt und von den Zehen bis zu den Zähnen zugestaubt, sonst aber guten Mutes.
Anfangs, als sie bei Goldkronach die Wildnis hinter sich gelassen hatten, waren sie sich so schutzlos vorgekommen wie Hasen unter freiem Himmel. Aber seit ihrer Flucht aus dem brennenden Wald waren sie keinem Bücherjäger und keinerlei abgerichteten Raubvögeln mehr begegnet, weder bei Tag noch bei Nacht. Allem Anschein nach waren ihre Verfolger in dem Feuer umgekommen, das sie selbst gelegt hatten, um Rogár zu zerstören. Auch auf der Straße nach Bayreuth und von dort weiter über Heiligenstadt hatten sie zwar herrschaftliche Kutschen und hochbeladene Erntewagen gesehen, wandernde Zimmermannsgesellen, Bußprediger und berittene Boten, aber niemand von ihnen hatte sich für das abgerissene junge Pärchen auf seiner fuchsroten Stute interessiert. Geschweige denn für das in schwarzes Kaninchenleder gebundene Buch, das Amos unter seinem Gewand mit sich trug.
Von einer kleinen Anhöhe aus schauten sie zur Bischofsstadt Bamberg hinüber, die auf der Westseite des Flusses über vielerlei Hügel hingebreitet lag. Mit ihren zahlreichen Kirchen, Türmen und Klosterbauten, deren Dächer in der Abendsonne glänzten, sah die Stadt beinahe wie ein einziger weitläufiger Palast aus. Doch höher als jedes andere Bauwerk ragte auf dem Kegelberg im Süden der schlanke Turm empor, den Amos schon in jener Traumbotschaft gesehen hatte – der uralte Bergfried inmitten der Burg, die den Bischöfen von Bamberg seit zweihundert Jahren als Residenz diente.
Noch heute Abend würden sie an der Burgpforte anklopfen und nach dem Hofkaplan fragen. So hatten sie es beschlossen und es sich gerade eben noch einmal bekräftigt. In der letzten Nachthatte Amos abermals jene Gesichte im Schlaf empfangen und alles noch einmal ganz genauso erlebt wie beim ersten Mal. Auch der hochgewachsene Mann mit den brennend blauen Augen war ihm wiederum erschienen, und noch lange nachdem er erwacht war, hatte er sich beklommen und von dem Flammenblick des unheimlichen Mannes wie durchbohrt gefühlt.
Dennoch würde nun alles gut ausgehen, daran zweifelte er so wenig wie Klara. Sie würden
Das Buch der Geister
in die Hände jenes Hofkaplans geben und dort wäre es in Sicherheit. Außerdem würden sie endlich Antwort auf all die Fragen bekommen, mit denen er sich seit so langer Zeit herumquälte – warum seine Eltern von Höttsches Mörderhand sterben mussten, was für ein geheimnisvolles Spiel das Opus
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