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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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in den letzten Tagen zu erdulden hatten, so säßet Ihr bis in die Abendstunden hier fest. Darum greife ich nur eine einzige Episodeheraus, wie es ja auch die Regeln der Erzählkunst gebieten – Ihr wisst doch sicher, wo die Heidenkuppe liegt?«
    Der Bischof pustete. »Allerdings, junger Mann – in meinem Fürstentum kenne ich jeden Hügel. Auch wenn geraume Zeit vergangen ist, seit ich jene Anhöhe zuletzt erklommen habe.«
    »Dort oben«, fuhr Amos fort, »haben wir ein heidnisches Heiligtum mit Namen Rogár besucht. Wir fuhren …«
    »Unsinn!«, schrie der Bischof dazwischen. »Teuflische Verwirrung!« Er hob seine gefalteten Hände und ließ sie auf den Tisch zurückkrachen. »Den Hain der Heiden wollt Ihr dort oben gesehen haben? Höllische Verblendung! Diese Stätte wurde vor mehr als vierhundert Jahren vernichtet, die Götzenpriester wurden getauft – wir haben hier in der Burg sogar ein altehrwürdiges Gemälde, das die Bekehrung der letzten hiesigen Heiden zeigt.«
    »Ich habe das Bild vorhin gesehen«, antwortete Amos. »Und doch waren Klara und ich vor drei Tagen erst oben in Rogár. Angreifer sind in den heiligen Hain eingedrungen, haben die Wächter getötet und alles angezündet – wir selbst wären in den Flammen fast umgekommen.«
    Mit offenem Mund starrte der Bischof ihn an. Er versuchte sich zu erheben, fand aber offenbar nicht die nötige Kraft und sank auf seinen Stuhl zurück. »Senft, um Himmels willen!«, wandte er sich an den Hofkaplan, immer noch beinahe schreiend. »Wurden wir nicht gewarnt, dass das Buch seine Leser mit satanischer Verblendung schlägt? Dass sich für jeden, der von seinem Zauber kostet, diese Welt zu einem gräulichen Durcheinander verwirrt? Ihr habt mir stets versichert, dass dies nicht geschehen könnte – und was sagt Ihr aber nun?«
    Der Hofkaplan sah mit abwesendem Blick an ihm vorbei. Er schien in sich hineinzulauschen – oder vielleicht empfing er auch eine Botschaft von Trithemius, dem Bücherpapst. »Was ich sage?«, trompetete er dann. »Der Junge hält uns alle zum Besten – überhaupt kein Grund, sich zu beunruhigen, Euer Gnaden. Und Ihr lasst es nun genug sein«, fuhr er Amos an, »oder wollt Ihr Euchvollends zum Narren machen? Zufällig haben wir gerade hier in diesem Raum einen untrüglichen Beweis. Paul«, wandte er sich an den Organisten, »hole einmal das Heidenrohr aus der Truhe.«
    Lautensack sprang auf und machte sich an der wurmstichigen Truhe zu schaffen. Mit rostigem Kreischen ging der Deckel auf und ein Geruch nach uraltem Staub und Plunder wehte hervor. Gleich darauf kehrte der bleiche Musikus zurück, in der Hand ein aschfarbenes Requisit, das er vor dem Kaplan auf den Tisch legte.
    Es war einer jener ausgehöhlten Knochen, die Amos in Rogár gesehen hatte. Die Wächter hatten solche Rohre an Lederschnüren vor der Brust getragen, und dazu einen Köcher mit gefiederten Pfeilen auf dem Rücken. Doch anstelle des Schulterriemens war dieses Blasrohr mit einer Goldkette versehen. Daran hing ein Messingschild mit der Inschrift »Waffe eines Götzenpriesters aus dem Heidenhain Rogár bei Wunsiedel, der 1089 A. D. mit himmlischer Hilfe gänzlich zerstört worden ist.«
    Amos nahm das Blasrohr in seine Hände. »Wenn diese Inschrift nicht lügt«, sagte er, »wie können Klara und ich vor drei Tagen noch dort auf Wächter mit genau solchen Waffen getroffen sein?« Er drehte den ausgehöhlten Knochen hin und her. Eine Reihe von Zeichen war hineingeritzt, und obwohl er die alte Schrift nach wie vor nicht lesen konnte, wusste er doch inzwischen, was diese Zeichen bedeuteten. »
Llóma – fárá – móhagár
«, murmelte Amos. Und noch während er die letzte Silbe vor sich hinsprach, wurde er mitsamt dem Knochenrohr in seinen Händen aus dem Gewölbe fortgerissen und in tollem Taumel wieder rückwärts durch die Zeiten gezogen, so ungeheuer schnell, dass um ihn herum alles zu einem Nebel verschwamm. Und als die Welt um ihn wieder stehen blieb, da war er abermals im Hain von Rogár.
    Genau wie auf dem verblichenen Wandgemälde knieten die Wächter von Rogár in einer langen Reihe am Boden. Die Gesichter hatten sie zu den Männern emporgewendet, die vor ihnen standen, aber diese Gesichter waren nicht etwa von Entzückenüber ihre Bekehrung, sondern von nackter Angst verzerrt. Und mitten unter ihnen kniete die junge Wächterin, die ganz genau wie Amos’ weibliches Ebenbild aussah.
    Er starrte sie beschwörend an, und es schien ihm, dass sie ihn auf

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