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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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auch die Kunstwerke der Maler waren rasch an den Wänden aufgehängt worden, allerdings stellten sie allesamt nur leuchtend bunte Spiralnebel dar. Genauso bunte Vögel flogen in großer Zahl im Turmsaal umher, während auf dem Boden, auf Stühlen und Sesseln und sogar auf dem Tisch weiße und fuchsrote Kaninchen im Zickzack umhersprangen. Wie das alles möglich war, verstand Laurenz nicht. Eigentlich verstand er überhaupt nichts mehr, aber im Augenblick bekümmerte ihn das nicht im Geringsten. Die Musikanten musizierten, die Tänzerinnen tanzten, die Dichter deklamierten, während er und Lucinda sich anlächelten und Händchen hielten und einander ein ums andere Mal küssten.
    Niemals hatte sich Laurentius Answer so glücklich gefühlt. Lucinda wisperte verliebtes Zeug an seiner Schulter, und er brummte ihr all die Verse ins Ohr, die er ja schließlichfür sie gedichtet und wochenlang in seiner Kammer in Graf Leonhards Burg eingeübt hatte. Wer all die Gäste an dem kreisrunden Tisch waren, wo sie herkamen, warum es anscheinend immer mehr wurden und weshalb Lucinda sich ausschließlich mit Narren und Künstlern umgab – all das wusste und verstand Laurenz noch viel weniger, aber es war ihm auch herzlich gleichgültig: Er hatte endlich seine geliebte Lucinda gefunden, nichts anderes auf der Welt zählte.
    Jedenfalls so lange, bis sich Lucindas Mutter von der Tafel erhob und der Runde mit einer Handbewegung Schweigen gebot.
    Die Narren erstarrten. Die Musiker ließen die Schalmeien sinken. Die Tänzerinnen sanken in sich zusammen. Die Dichter klappten Münder und Versbücher zu. Nur die Maler strichelten unablässig weiter, nun mit nadelspitzen Kohlenstiften, die man in der plötzlichen Stille wie Vogelkrallen über die Büttenbögen scharren hörte.
    »Eure Aufgabe wäre es gewesen, Laurentius Answer«, sagte die ältere Frau im Federkleid, »meinen geliebten Gemahl, den schmerzlich vermissten Vater von Lucinda aus dem Sorgenschlaf zu wecken – hier und heute, vor Beginn dieser Feier, die doch ihm mindestens so sehr wie Euch gilt.« Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als ob sie nur mühsam ihre Selbstbeherrschung wahren könnte. »Eure Aufgabe«, fuhr sie in bitterem Tonfall fort, »wäre es gewesen, ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten. Sodass er nach Jahr und Tag aus seinem totenähnlichen Schlaf wieder erwacht und zu den Lebenden zurückgekehrt wäre, zu mir und Lucinda und uns allen hier, die ohne ihn vor Verlorenheit kaum mehr aus noch ein wissen.« Über den ganzen gewaltigen, mit Blumen und Schüsseln und hüpfenden Kaninchen übersäten Tisch hinweg bohrte sich ihr Blick in Laurenz’ Augen. »Doch da Euch diese Aufgabe gleichgültig zu sein scheint, Laurentius Answer, so werde an Eurer Stelle ich nun in die Sorgenkammer gehen.«
    Laurenz saß da wie zur Statue versteinert. Er konnte kein Wort hervorbringen, keinen Finger rühren. Er spürte Lucindas Blick auf sich, die ihn von der Seite her mit tiefer Enttäuschung ansah, so wie alle anderen im Saal, die gleichfalls wie für immer erstarrt schienen. Während Lucindas Mutter im bunten Kleid auf eine Tür in der Wand zuschritt, ohne sich noch einmal zu ihm umzusehen.
    »Wartet!«, rief Laurenz und wollte aufspringen, hinter ihr her eilen, aber Lucinda legte eine Hand auf seinen Arm und hielt ihn zurück.
    »Es ist zu spät«, flüsterte sie.
    Ihre Mutter schritt durch die Tür. Von seinem Platz aus sah Laurenz ganz deutlich, was sich dahinter befand: eine Lagerstatt, auf der ein Mann mit grauem Haar und grauem Bart hingestreckt lag, bis über die Brust mit einem silbrigen Tuch zugedeckt.
    »Mein über alles geliebter Gemahl«, hörte Laurenz, »so seht doch, Laurentius Answer ist zurückgekehrt.« Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter, wie es Laurenz’ Aufgabe gewesen wäre, und da überlief den Liegenden ein Zittern. Mühevoll richtete er sich auf und das Tuch flatterte zu Boden.
    »Warum ist er nicht selbst gekommen«, hörte Laurenz ihn mit matter Stimme fragen, »wie es seine heilige Pflicht war?«
    »Er hat nur noch Augen für Lucinda.«
    Das ist nicht wahr, dachte Laurenz, während Lucindas Vater schon wieder halb auf sein Lager zurücksank.
    »Aber ich will alles wiedergutmachen«, rief Laurenz aus.
    Die Gesellschaft applaudierte zaghaft. Alles Übermütige und Verworrene schien von den Leuten abgefallen, selbst die Narren wagten kaum mehr, mit ihren Schellenkappen zu klingeln. Ihre Blicke huschten von Lucindas Vater, der in der

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