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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Abschied noch einmal geküsst hatte. Vor ihrer Mutter fiel er nochmals auf die Knie und erbat ihre Vergebung, dann eilte er die geschwungene Treppe vor dem Muschelturm wieder hinab. Die ganze Gesellschaft seufzte und schluchzte hinter ihm her. Es tat ihm auch von Herzen leid, dass er seine Geliebte schon wieder verlassen musste, aber diesmal würde es nicht für lange sein. Er sah jetzt den Weg vor sich, den er gehen musste – er hatte eigenmächtig eine Abkürzung gesucht und so war alles in Verwirrung geraten. Doch jetzt würde er die Dinge in der richtigen Reihenfolge angehen und dann würde sein Weg ihn unweigerlich zurück zu Lucinda führen.
    Laurentius ritt die ganze Nacht hindurch und nur der Mond wies ihm den Weg. Im ersten Morgenlicht erreichte er jene zitternde Brücke wieder und ritt rasch hinüber. Doch auf der anderen Seite des donnernden Stroms verlor sich die Straße nach kaum dreihundert Fuß in einer unabsehbaren Weite aus Staub und Geröll.
    Wie sollte er von hier aus je wieder ins Land seiner Väter zurückfinden? Zögernd nahm Laurentius Answer den Schild zur Hand und schaute hinein. Er befürchtete, dass er nur abermals Lucinda darin erblicken und sie ihn überreden würde, zu ihr zurückzukehren. Doch der Schild schien seine zauberischen Kräfte verloren zu haben – sogar sich selbst fand Laurenz in der runden Scheibe nur noch mattgespiegelt, und als er mit der Faust dagegen schlug, fuhr er nicht etwa bis zur Schulter hindurch, sondern erzeugte nur einen hallenden Ton, der sich in der öden Weite verlor.
    Er hängte sich den Schild mit der ledernen Schnalle wieder in seine Armbeuge. Auf einmal sah er ganz deutlich vor sich, was er jetzt als Nächstes zu tun hatte. Er musste zum Fluss hinunter. Dort würde sich alles Weitere finden.
    Laurentius wendete seinen Rappen und lenkte ihn behutsam die Böschung hinab. Ohrenbetäubend toste hier unten der Strom in seinem Bett. Felsbrocken so groß wie Kutschkästen wurden von der Flut mitgerissen, an die Ufer geschleudert und aufs Neue fortgewirbelt, wenn sie ins Wasser zurückgekollert kamen.
    Auf einem solchen Felsbrocken, der im flacheren Uferwasser lag, entdeckte Laurentius Answer schließlich ein eigenartiges Wesen. Es war kaum länger als sein eigener Arm und von schilfgrüner Farbe. Seine Beine baumelten im Wasser und auch sein Haar, das aus Schlick und Tang zusammengezwirnt schien, hing in wirren Wellen bis in den Strom hinab.
    Laurenz sprang vom Pferd und kauerte sich neben dem Wasserwesen hin. »Ich bin Laurentius Answer und ich suche das Land meiner Väter«, sagte er, »kannst du mir zeigen, wie ich dorthin zurückgelange?«
    Die Augen des grünen Kleinen ähnelten Seerosen. Nachdenklich sah er Laurentius an, ehe er gurgelnd Antwort gab. »Suchst du das Land deiner Väter, so frag die Frau, die im Brunnen wohnt.«
4
    A
ls er die federleichte Hand
auf seiner Schulter fühlte, fuhr Amos wie aus tiefem Traum empor. Neben ihm stand der alte Gelehrte, doch er sah ihn wie durch Nebeldunst hindurch. SeineHände umklammerten die Ränder von Kronus’ Pult, aber zwischen seinen Fingern spürte er noch ganz deutlich die abgewetzten Lederzügel, mit denen er das Pferd zum Fluss hinabgelenkt hatte.
    »Laurentius Answer«, murmelte er. Nur zögernd lösten sich die Nebelschwaden zwischen ihm und Kronus auf. Das Tosen des Flusses wurde leiser. Die Felsbrocken in der schäumenden Flut zerfielen. Auch das grüne Wasserwesen verblasste vor seinen Augen und verschwand. Amos sah um sich. Wie seltsam, auf einmal wieder in dieser Stube zu sein, zwischen den Regalen voller Schriftrollen und Bücher. »Ich war er – Laurenz«, sagte er leise, »ich hatte vollkommen vergessen, dass ich in Wirklichkeit jemand anderes bin.«
    Der alte Mann sah ihn mit seinem stillen Lächeln an. Der Schlaf schien ihn gekräftigt zu haben. Seine hellblauen Augen funkelten. »Die Wirklichkeit hat viele Falten«, erklärte er in beiläufigem Tonfall. »Und in jeder Falte eine Welt.«
    Während Amos noch über diese Bemerkung nachdachte, wechselte Kronus das Thema. »Es ist Mittagszeit«, sagte er, »hast du gar keinen Hunger, Junge?«
    »Mittag?« Amos lief zum Fenster und schaute ungläubig hinaus. Tatsächlich stand die Sonne hoch über dem einstigen Mühlhof. Als er sich wieder umwandte, trat Kronus eben hinter sein Pult und legte die Papierbögen übereinander, die er Amos zu lesen gegeben hatte. Es war nur ein dünner Stoß, nicht einmal zwei Dutzend Blätter. »Wie kann es sein,

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