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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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»Sohn« genannt hatte, konnte er allenfalls drei Jahre älter als er selbst sein. »Na, dann komm eben herein«, sagte der Wächter. »Aber beschwere dich nicht, wenn er dich bis Mittag warten lässt, mein Sohn.«
    Hannes trat in die Halle, deren schiere Ausmaße niederdrückend waren. Die Gewölbedecke war mit Racheengeln bemalt, die Flammenschwerter trugen oder aus deren Fingerspitzen tödliche Blitze zur Erde niederfuhren. Auch die aus Säulen und Wänden herausgemeißelten Reliefbilder stellten ausnahmslos Erzengel oder heilige Ritter dar, die mit Feuer und Schwert gegen Teufel und Ketzer zu Felde zogen. Unwillkürlich stellte sich Hannes vor, wie man sich fühlen musste, wann man unter dem Verdacht desKetzertums oder der Hexerei verhaftet worden war und durch diese Halle geführt wurde. Ehe man in den unterirdischen Verliesen angekommen war und das Verhör auch nur begonnen hatte, war man innerlich schon zermürbt und bereit, alles zu gestehen.
    Aber auf was für Ideen er heute nur kam! Ob das auch mit dem vermaledeiten Buch zusammenhing, das er notgedrungen wieder beherbergt hatte? Nein, sagte sich Hannes rasch, letzte Nacht in seiner Kammer war bestimmt nichts Arges passiert.
    Hinter ihm erklang leises Lachen. Hannes bemerkte, dass er wenige Schritte hinter der Türschwelle stehen geblieben war und mit weit zurückgelegtem Kopf zu den Racheengeln emporstarrte. Der junge Torwächter war unterdessen in seine Pforte zurückgekehrt, einen Holzverschlag neben dem Portal. Er streckte den bis auf die Tonsur kahl geschorenen Kopf durch die Luke hervor und beobachtete Hannes mit spöttischem Lächeln. Von außen lehnte ein zweiter junger Mönch am Verschlag, und obwohl er ausdruckslos ins Leere sah, spürte Hannes ganz genau, dass er es war, der eben aufgelacht hatte.
    Eigentlich hätte sich Hannes diesen hochmütigen jungen Mönchen überlegen fühlen können. Während sie bloß als Torwächter dienen durften, wurde er schon für weit verantwortungsvollere Aufgaben eingesetzt – dabei war er noch etliche Jahre jünger als sie. Dennoch schüchterten sie ihn durch ihr hochnäsiges Auftreten immer wieder ein. Mit jeder Kopfbewegung, jedem spöttischen Anheben einer Augenbraue schienen sie anzudeuten, dass sie bald schon in der Inquisitionsbehörde glanzvoll aufsteigen würden – was im Übrigen auch durchaus stimmen konnte: Die beiden Gehilfen von Leo Cellari, die dem mächtigen Ketzerjäger niemals von der Seite wichen, waren blutjunge Dominikaner namens Alexius und Meinolf. Und sie alle hatten die alten Sprachen und die Gottesgelehrsamkeit studiert, ihm selbst jedoch war auf der Lateinschule nur das Nötigste eingetrichtert worden: Lesen, Schreiben, Rechnen – und vom Lateinischen eben genug, um die Psalmen in der Kirche mitzustottern.
    Von den Torwächtern verstohlen beobachtet, hinkte Hannes in der Halle umher. Nirgendwo gab es einen Sessel oder auch nur einen Schemel, aber er hätte unter den Blicken der jungen Mönche ohnehin nicht einen Moment lang stillsitzen können. Im Gegenteil musste er immer wieder gegen den Drang ankämpfen, etwas ganz und gar Unerhörtes zu tun – laut aufzuschreien, sein Bündel gegen eines der heiligen Heldenbilder zu schmettern, zur Pforte zurückzulaufen und die jungen Mönche zu beschimpfen, weil sie sich offenkundig über ihn lustig machten.
    Dabei sollten sie doch ein frommes Leben in Demut führen, dachte er. Und dabei standen er selbst und sein Herr, der Unterzensor, doch auf der gleichen Seite wie die Inquisition. Hatte er Skythis nicht mehr als einmal sagen hören, dass Leo Cellari sein bester Verbündeter sei? Ohne Zweifel hassten die Inquisitoren gottlos Erdichtetes nicht weniger inbrünstig als Jan Skythis. Und trotzdem fühlte Hannes ganz deutlich, dass der Spott der beiden jungen Mönche dort hinten im Grunde weniger ihm selbst als Jan Skythis galt. So als ob Cellari und Skythis zwar ein und denselben Widersacher jagten – doch der Kirchenmann war der edle Ritter hoch zu Pferde, Skythis dagegen bloß ein Spürhund, der mit heiserem Belfern vorauslief, die Beute aus ihrer Höhle hervorscheuchte und Cellari vor das Schwert trieb.
    Niemals vorher war Hannes von derlei verworrenen Zweifeln gepeinigt worden. Je länger er warten, in der Halle umherhinken, den Blicken der Mönche, der gemalten Engel und Ritter ausweichen musste, desto unbehaglicher wurde ihm zumute. Vielleicht hatte er ja letzte Nacht den dämonischen Lockrufen doch nachgegeben und im
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