Opus 01 - Das verbotene Buch
seines Herrn angelockt, eilte von der Pforte her nun auch Frater Meinolf herbei, der zweite Assistent Cellaris.
Die beiden jungen Dominikaner schienen auf den ersten Blick so unterschiedlich wie nur möglich, und doch ähnelten sie einander wie Lichtstrahl und Schatten. Beide waren Anfang zwanzig und von kräftiger, hochgewachsener Gestalt. Während sich der schwarzhaarige, bronzehäutige Alexis stets bedächtig bewegte und niemals die Ruhe verlor, schien der weißblonde Meinolf von unstillbarem Bewegungsdrang erfüllt. Seine Haut war so durchsichtig und dünn, dass die Adern wie pulsierende blaue Würmer deutlich zu erkennen waren. Mit tänzelnden Schritten eilte er durch die Halle zu ihnen und trat an Alexius’ Seite hinter Cellari. Über die Schultern ihres Meisters hinweg schauten die Gehilfen aufmerksam zu, wie Cellari nun beide Schriftstücke vom Hilfsschreiber Mergelin entgegennahm. Dabei murmelte der Ketzerjäger im gleichen nachdenklichen Tonfall wie vorhin: »Sieh nur einer an … der wilde Bruder Valentin.«
Skythis’ Brieflein schob er in seine Tasche. Das Buch aber besah er aufmerksam von allen Seiten, ehe er es mit offensichtlichem Zögern öffnete. Er warf einen kurzen Blick hinein und schlug es dann so heftig wieder zu, dass es einen lauten Knall gab.
Hannes fuhr zusammen – und dann nur einen Herzschlag darauf noch einmal: Von den Verliesen wehte ein Schrei zu ihnen herauf.
»Warum so schreckhaft, mein Sohn?« Cellari sah ihn aus starren Augen durchbohrend an.
Hannes senkte den Kopf. Wie um Himmels willen war es nur möglich, dass er vorhin die innersten Empfindungen jener jungen Frau so deutlich gespürt hatte, als ob es seine eigenen Gefühle wären? Auch jetzt kam es ihm beinahe vor, als ob er selbst dort unten im Verlies säße und vor Angst oder Pein aufgeschrien hätte. Doch es war kein guter Zeitpunkt, um solchen verworrenen Fragen nachzuspüren – Cellari wartete auf seine Antwort.
»Das Buch, Herr«, brachte er hervor und deutete auf das Bändchen in der feingliedrigen Hand des Inquisitionsbeamten – »ich musste es bewachen und habe in der Nacht kein Auge zugetan.«
Wieder traf ihn Cellaris prüfender Blick. Hannes fühlte sich wie Spinnweb, durch den ein Sonnenstrahl hindurchgeht. »Du hast es bewacht?«, fragte der Dominikaner. »Oder darin gelesen?«
Drei Augenpaare hafteten nun forschend auf Hannes’ Antlitz. Alexius und Meinolf verharrten in genau gleichem Abstand hinter Cellari, als ob sie die Flügel ihres Meisters wären – die dunkle Schwinge starr, die helle bebend vor Bewegungsdrang.
»Es bewacht«, flüsterte Hannes.
Im nächsten Moment hatten sich die drei Mönche von ihm abgewandt und schritten durch die weite Halle davon – Cellari vorneweg, seine beiden Gehilfen in exakt demselben Abstand hinterdrein. »Valentin Kronus«, hörte Hannes den Ketzer- und Bücherjäger noch sinnieren, »so hieß ein hochbegabter, doch moralisch ungefestigter Mann, den ich vor mehr als einem halben Leben kannte. Zusammen haben wir das Mönchsgelübde abgelegt – aber Valentin hat sich im Kloster nicht lange gehalten.«
Wenige Schritte vor der Treppe zu den oberen Geschossen blieb Cellari stehen und drehte sich zu Alexius und Meinolf um. Die Edelsteine auf seinem Kruzifix glitzerten im Sonnenschein, der durch das Bogenfenster im Treppenaufgang fiel.
»Es verträgt sich nun einmal nicht mit der Ordensdisziplin«, fuhr der silberhaarige Dominikaner fort, »wenn sich ein Mitbruder, anstatt zu beten und Gottes Offenbarungen zu studieren, im Übertragen von Gedanken übt. Oder wenn er …«
Cellari unterbrach sich – sein Blick suchte Hannes, der sich gerade sein leeres Bündel über die Schulter warf. »Oder wenn er die Toten«, vollendete der Inquisitionsbeamte, »in ihren Gräbern aufzuerwecken versucht.«
7
A
uf Onkel Heriberts ältester Mähre
ritt Amos nach Kirchenlamitz hinüber. Viel lieber hätte er den klapperdürren Gaul geschont, aber der Ritter und seine Männer waren wieder einmal auf Raubzug in Böhmen und außer der steinalten Stute hatten sie nur ein halbwüchsiges Füllen im Stall zurückgelassen.
Er hatte mit Oda vereinbart, dass er an jedem ersten Samstag im Monat bei der Kommandantur in Kirchenlamitz nachfragen würde, ob ein Brief für ihn gekommen sei. Den markgräflichen Soldaten, die als Geleitschützer zwischen Hof und Nürnberg hin und her preschten, waren die zusätzlichen Heller hochwillkommen, die sie für solche Botendienste einstreichen konnten.
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