OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Burschen nicht, den Gaukler derart schwärmerisch anzulächeln, wie sie es eben gemacht hätte. Sie stellte sich vor, was der Mann sich wohl über sie – über ihn – gedacht hatte, und wurde ein wenig rot. Das hätte ihr ja gerade noch gefehlt, dass sie durch ein solches verbotenes Lächeln den Verdacht der Stadtbüttel erregte!
Zum Ausgleich setzte sie eine derart grimmige Miene auf, dass die Umstehenden förmlich zurückprallten. »Aus dem Weg«, nuschelte sie so brummig, dass der Gaukler beinahe in Vergessenheit geriet. Die ganze kleine Menschenmenge, die sich an der Straßenecke versammelt hatte, staunte nur noch den sonderbaren Burschen an. Der schob nun seine Filzkappe tiefer in die Stirn und maß die Gaffer mit einem herausfordernden Grinsen. Seine Augen waren so grün wie Waldseen – und verengten sich mit einem Mal zu funkelnden Schlitzen. Der eigenartige Bursche wandte sich ab und eilte davon – so rasch, als ob ihm plötzlich eingefallen wäre, dass er ja irgendwo in der Unterstadt verabredet war. Sonderbare Leute gab es in der großen Stadt! Aber zumindest schien der Kerl harmlos zu sein.
Die Gaffer wandten sich achselzuckend ab, und keiner von ihnen hätte sich auch nur im Traum vorstellen können, was gerade unter dem goldblonden Haarhelm des vermeintlichen Burschen vorging.
Mutter Sophia? , rief nämlich Klara im hoffnungsvollsten Gedankentonfall aus. Ihr seid es doch? Dabei spürte sie es ja überdeutlich – dieses mächtige, wenn auch beunruhigend flackernde Gestirn an ihrem inneren Himmel konnte niemand anderes als die gütige Äbtissin sein.
Klara, komm … Kein Zweifel, es war Mutter Sophia, die da mit ihr sprach. Aber sie schien so geschwächt, dass ihre Botschaft kaum zu verstehen war. Klara vernahm beinahe nur ein Rauschen in ihrem Kopf, in das sich ab und an geisterhaftes Winseln und Ächzen mischte. … mich freigelassen … nur zum Schein … komm rasch, ehe die Häscher … zum Heilig-Geist … Und ehe Klara irgendetwas erwidern oder auch nur nachfragen konnte, riss die Verbindung auch schon wieder ab.
So heftig zog sich ihre Magendecke zusammen, dass Klara unvermittelt stehen blieb und sich eine Hand auf den Magen drückte. Jemand rempelte sie von hinten an, und eine heisere Stimme grölte ihr ins Ohr: »Na, gestern wohl zu viel gebechert, Kerl?« Sie fuhr herum und sah in das aufgedunsene Gesicht eines Mannes in mittleren Jahren. »Dann geht’s dir wie mir«, fuhr der Sprecher fort. »Aber du weißt doch, was am besten hilft, wenn dir danach so richtig speiübel ist?«
Klara schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung«, brummte sie und sah so grimmig wie möglich drein.
»Na, dann komm mit, Kleiner – ich zeig’s dir.« Der Mann fasste sie beim Arm und zog sie mit sich, die Burgstraße hinab. Kutschen ratterten dröhnend an ihnen vorbei. Reiter jagten die steile Straße hinauf, der Kaiserburg entgegen oder vielleicht auch der Druckerei Koberger, die gleichfalls irgendwo dort oben saß. »Ein Schnaps hilft überhaupt nichts, wenn du verkatert bist – aber trink drei davon und dir wird wieder leicht ums Herz!« Der Mann war offenbar ein Säufer und auf der Suche nach einem Zechkumpan. Unglücklicherweise schien er zu glauben, dass er bereits fündig geworden sei. Mit eisernen Fingern hielt er Klaras Handgelenk umklammert. »Du wirst schon sehen, Kerl, wie beim drittenSchluck die Sonne aufgeht. Oder spätestens beim siebten!« Sein Lachen ging in Gurgeln und das Gurgeln in einen Hustenanfall über, doch bei alledem hielt er Klaras Hand unerbittlich fest.
Verzweifelt überlegte sie, was sie jetzt machen sollte. Schon fingen die Leute wieder an, zu ihr und dem Saufkopf hinzustarren, der unablässig vor sich hinbrabbelte. Lass mich los , dachte sie beschwörend, hörst du nicht, du elender Schnapsschnabel – lass sofort mein Handgelenk los!
Diesmal jedoch versagten ihre magischen Kräfte kläglich – der durstige Mann schien überhaupt nicht zu bemerken, dass sie mit flehentlicher Gedankenstimme auf ihn einredete. Schon waren sie bloß noch ein paar Dutzend Schritte von dem ehemaligen Abtshaus entfernt, in dem die Inquisitionsbehörde saß. Die nahezu schwarze Fassade des düsteren dreigeschossigen Bauwerks zeichnete sich bereits hinter den Bäumen ab, die dort unten an der Abzweigung zum Predigerplatz die Straße säumten.
Was sollte sie jetzt nur machen? Wie konnte sie den verdammten Saufkerl bloß wieder loswerden? Zum Heilig-Geist , hatte Mutter Sophia ihr noch zurufen
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