OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
einmal, Amos eine Botschaft zu schicken – aus Angst, dass es sie ablenken würde und sie womöglich nicht mitbekäme, wenn irgendwer sich an der Stalltür zu schaffen machte oder draußen an den dünnen Holzwänden entlangschlich. Aber nicht allein aus diesem Grund schreckte sie davor zurück, ihre magischen Kräfte zu gebrauchen.
Was gestern Nachmittag zwischen ihr und Johannes passiert war, machte ihr immer noch zu schaffen. Zwischen ihr und diesem Frater Meinolf, genauer gesagt. Sie hatte gerade eine kleine Rast eingelegt, als Johannes sie auf einmal mit überkippender Gedankenstimme um Hilfe angefleht hatte. Nicht einen Moment lang hatte sie darüber nachgedacht, auf welche Weise sie ihn überhaupt beschützen könnte, und im Grunde verstand sie noch immer nicht, wie sie das hinbekommen hatte. Jedenfalls hatte sie den Dominikaner angeschrien und ihn so dazu gebracht, seinMesser wegzuwerfen. Das alles hatte sie mit Johannes’ Augen ganz genau mit angesehen, aber das war es ja auch gar nicht, was ihr diese Angelegenheit so unheimlich machte. Genauso hatte sie es ja auch vorher schon ein paar Mal geschafft, durch Amos’ Augen mitzuverfolgen, was der gerade sah. Doch nie zuvor war es ihr gelungen, durch einen anderen Menschen, mit dem sie magisch verbunden war, zu sprechen – mit seiner Zunge, seinen Lippen auszurufen, was ihr selbst gerade durch den Kopf ging. »Er ist besessen!«, hatte Meinolf geschrien – und nicht sehr viel anders hatte es sich für sie auch angefühlt: als ob sie mit ihrem Geist von Johannes Mergelin Besitz ergriffen hätte.
Was ja eigentlich gar nicht sein konnte, oder?
Es war so unheimlich, dass ihr noch immer Schauer über den Rücken rieselten, wenn sie auch nur flüchtig daran dachte. Dabei waren seither schon wieder viele Stunden vergangen. Und ganz bestimmt war es ja auch gut und richtig gewesen, dass sie alle ihre Kräfte aufgeboten hatte, um Johannes zu helfen.
Nur – was für Kräfte das eigentlich gewesen waren, das ließ ihr seitdem keine Ruhe mehr. Klara verstand jetzt auch, wie Amos sich gefühlt haben musste, als er geglaubt hatte, dass er Johannes mit seiner magischen Macht ins Verderben gestürzt hätte.
Sie hatte ihm aus tiefstem Herzen widersprochen:
Das Buch der Geister
erweckt nur die guten magischen Kräfte in seinen Lesern, hatte sie beteuert, dafür hat Kronus schließlich gesorgt! Aber seit sie mit ihrem Geist in Johannes Mergelin gefahren war und aus seinem Mund gesprochen hatte, war Klara sich bei Weitem nicht mehr so sicher. Ihre eigenen magischen Kräfte wurden ihr immer unheimlicher – eben weil sie das Gefühl hatte, dass es nicht ihre eigenen waren. Oder jedenfalls nicht ganz und gar.
Sie hockte im Dunkeln in ihrem Stallwinkel und grübelte über diesen grausigen Fragen. Neben ihr kaute die Füchsin im Halbschlaf an einem Büschel Stroh. Ansonsten war alles totenstill.
Was hatte das Geisterbuch nur in ihr selbst und in Amos in Gang gesetzt? Hatte Kronus etwa doch ein Buch erschaffen, dasauch »teuflische« Kräfte in seinen Lesern erweckte, wie Cellari und Skythis das beharrlich behaupteten? In früheren Jahren, als sie mit ihren Eltern durch die fränkischen Lande gereist war, hatte Klara andere fahrende Leute oftmals von Hexern munkeln gehört, die böse, zerstörerische Zauberkünste beherrschten. Sie bezweifelte auch überhaupt nicht, dass es so etwas gab: Schadenzauber, Zerstörungs- und sogar Tötungsmagie. Aber alles in ihr sträubte sich gegen die Vorstellung, dass Kronus und Mutter Sophia bei der Erschaffung und Erprobung des
Buchs der Geister
ein so schwerwiegender Fehler unterlaufen sein könnte. Mit der Folge, dass
Das Buch
nun in ihr und Amos Kräfte erweckte, die sie nicht kontrollieren konnten und die sie womöglich noch dahin brächten, wirklich zerstörerische Dinge zu tun.
Aber nein, das durfte einfach nicht sein! Und noch viel weniger schien es ihr möglich, dass Valentin Kronus absichtlich ein Buch erschaffen haben könnte, das seinen Lesern unheilvolle magische Kräfte verlieh. Nie und nimmer hätte sich Mutter Sophia dazu hergegeben, ihr, Klara, Geschichten aus diesem Buch vorzulesen, wenn sie Kronus nicht ganz und gar vertraut hätte.
Klara schloss ihre Augen zu schmalen Schlitzen und spähte in ihr Innerstes hinein. Sie erblickte das funkelnde Gestirn, ihr eigenes magisches Herz. In großer Ferne erstrahlte ein zweiter Stern, noch heller und mächtiger als der ihre – Amos! Ein goldgelber Lichtstrahl verband ihrer beider
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