OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Rennen immerzu an Amos dachte, drang ein eigentlich sehr viel näher liegender Gedanke nur ganz allmählich in ihr Bewusstsein vor.
Hatte der durstige Mann sich nicht ziemlich seltsam benommen? Zuerst hatte es ausgesehen, als ob er sturzbetrunken wäre – aber dann auf einmal hatte er sich ganz verständig und vor allem stocknüchtern gebärdet, so als ob er niemals in seinem Leben etwas Stärkeres als Veilchentee getrunken hätte. Gehörte etwa auch er zum Opus Spiritus und war von dem Geheimbund ausgesandtworden, um sie sicher am Inquisitionskerker vorbei in die Unterstadt zu geleiten?
Verwundert sann Klara diesem Gedanken hinterher. Nein, dachte sie dann, das konnte eigentlich nicht sein. Mit seinem aufgedunsenen Gesicht war ihr der Mann wirklich wie ein Säufer vorgekommen. Und außerdem musste es auf dieser Welt ja schließlich auch noch ein paar gewöhnliche Leute geben – Menschen, die weder Bücher oder Ketzer jagten noch sich verschworen hatten, um magische Bücher zu erschaffen!
3
D
as Heilig-Geist-Spital war ein Bauwerk
von gewaltiger Ausdehnung. Mit seinem zweigeschossigen Haupthaus, den vielerlei Seitenflügeln, Türmen und Nebengebäuden glich es eher einer Burg oder eigenen kleinen Stadt. Ein mächtiger Seitenflügel mit eindrucksvollen Erkertürmen zog sich über einen Arm der Pegnitz, die sich an dieser Stelle in zwei Flussläufe gabelte. Dieser kürzlich erst fertiggestellte Nebenbau ruhte auf einem Brückengewölbe, unter dem Frachtkähne anlegen konnten, um das Spital mit allem zu beliefern, was man dort zur Verpflegung und Heilung der zahlreichen Kranken benötigte. Es war das größte Kranken- und Altenspital in Nürnberg und weit darüber hinaus.
Neben dem Hauptportal an der Spitalgasse war eigens eine Wache eingerichtet worden, die bei Tag und Nacht mit schwer bewaffneten Soldaten besetzt war. Deren Aufgabe war es allerdings nicht, die kranken oder greisen Spitalbewohner zu behüten. In dem labyrinthischen Bauwerk wurde außerdem der unermesslich kostbare Kronschatz aufbewahrt – die kaiserlichen Reichskleinodien, zu denen vor allem die Kaiserkrone, die Heilige Lanze und das Reichsschwert gehörten.
Nachdem Klara den durstigen Mann abgeschüttelt hatte, rannte sie im Zickzack durch ein Gewirr von Seitengassen weitertalwärts. Unten angekommen, wandte sie sich wieder nach links und lief am Fluss entlang zurück, wobei sie den wuchtigen Brückenflügel des Spitals bereits über dem Wasser aufragen sah. Dann versperrte ihr das gewaltige Hauptgebäude den Blick auf die Pegnitz und sie ging entlang der reich verzierten Steinfassade auf das Eingangstor zu. Hinter den Fenstern lagen Hunderte kranker und alter Männer und Frauen in ihren Betten, und Klara zog sich das Herz vor Mitleid zusammen, als sie das vielstimmige Seufzen und Stöhnen in den Krankenstuben hörte. Aber sie durfte sich nichts anmerken lassen – sie war schließlich ein grimmiger Jüngling, und wenn so einer Verwundete stöhnen hörte, so stellte er sich höchstwahrscheinlich vor, dass es seine Feinde wären, die er im Schwertkampf niedergestreckt hätte.
Sie war nun so aufgeregt und durcheinander, dass sie kaum mehr einen klaren Gedanken fassen konnte. Da vorn musste das Hauptportal des Heilig-Geist-Spitals sein – jedenfalls marschierten zwei Soldaten mit geschulterten Gewehren dort vor der Fassade auf und ab. Langsam ging Klara näher heran. Soeben hielt vor dem Tor ein zweispänniger Wagen. In der offenen Karosse saßen zwei Nonnen in der strengen Tracht der Augustinerinnen – schwarze Kopftücher und Kutten, aus denen lilienweiß der rund geschnittene Kragen hervorsah.
Der Anblick war Klara so lieb und vertraut, dass ihr das Herz mit einem Mal ganz schwer wurde. Die Augustinerinnen im Kloster Mariä Schiedung hatten alle Waisenmädchen, die bei ihnen aufwuchsen, fürsorglich und liebevoll behandelt. Zu Mutter Sophia hatte sie selbst sich allerdings am stärksten hingezogen gefühlt, und die Äbtissin hatte sich so innig um sie gekümmert, als ob Klara ihre eigene Tochter wäre. Und dann auf einmal war Mutter Sophia von den Inquisitoren verhaftet worden – und in blindem Entsetzen war Klara davongerannt, aus Angst, dass die Dominikanermönche sonst auch sie in den Kerker werfen würden.
Was aber hatte es zu bedeuten, dass diese beiden Augustinernonnen vor dem Spital vorfuhren – gerade jetzt, da ihre einstige Äbtissin hier eintreffen sollte?
Zögernd ging Klara weiter auf den Wagen zu. Hinten auf der offenen
Weitere Kostenlose Bücher