OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Doch im allerletzten Moment zog sie ihren Mund in die Breite, damit aus dem Lächeln ein höhnisches Grinsen wurde.
Eine stämmige Bäuerin, die sich in Ermangelung eines Lasttiers vor ihren eigenen Apfelkarren geschirrt hatte, hob den Kopf und schaute sie bittend an. Doch Klara tat so, als ob sie nichts bemerkt hätte. Tut mir wirklich leid, Mütterchen, dachte sie, aber Adrian Grünwald hat viel dünnere Arme als du. Wenn sie jetzt versuchen würde, die Bäuerin beim Karrenziehen abzulösen, dann würde sofort jeder bemerken, was es mit diesem angeblichen Burschen auf sich hatte. Nur gut, dass Leanders Hemd so weit geschnitten war!
Sie mischte sich unter eine Schar junger Knechte und Mägde, die anscheinend aus einem der umliegenden Dörfer kamen. Die Leutchen trugen ihre besten Gewänder, hatten ihre Gesichter blank geschrubbt und sogar den Dreck unter den Fingernägeln weggekratzt. Aus ihrem fröhlichen Geplapper konnte Klara heraushören, dass heute ein Sonntag war und sie sich darauf freuten, nach dem Kirchgang ein paar heitere Stunden zu erleben.
Irgendwo in der großen Stadt ging es immer laut und lustig zu. Dagegen gab es für das Bauerngesinde draußen in den Dörfern und Höfen die ganze Woche über nichts als Plackerei und allenfalls noch eine Tracht Prügel. Wie Klara die Burschen und Mädchen so von ihrem kargen Leben reden hörte, taten sie ihr mit einem Mal furchtbar leid. So war es ihr auch als Kind schon gegangen, wenn sie mit ihrem Schaustellerwagen von Flecken zu Flecken gefahren waren, während die Sesshaften wie festgemauert in ihrer Einöde zurückbleiben mussten. Und selbst wenn mich die Ketzer- und Bücherjäger mit ihren Bluthunden durch die ganze Welt hetzen, dachte sie, und sogar wenn ich womöglich irgendwannim Kerker lande – ich will mit keiner dieser jungen Mägde, keinem dieser jungen Knechte tauschen, berichtigte sie sich eben noch rechtzeitig.
So herablassend wie überhaupt möglich schaute Adrian Grünwald um sich, während er mit wiegenden Schritten an den Torwächtern vorbei nach Nürnberg hineinmarschierte.
Bruder Egbert hatte ihr geraten, gerade durch dieses Tor zu gehen, obwohl das Laufertor viel näher lag, wenn man von Norden kam. Hier oben im Sebalder Burgviertel ging es den ganzen Tag über so lebhaft zu, dass ein einzelner Bursche im Gedränge wenig auffiel. Außerdem war es von hier aus nicht weit zur Burgstraße, wo sich neben der Predigerkirche das Inquisitionsgebäude befand – allerdings hoffte Klara mehr als alles andere, dass Mutter Sophia aus dem Kerker unter dem ehemaligen Abtshaus mittlerweile freigekommen wäre.
Ruhelos wanderte sie in den Gassen umher, spähte verstohlen nach links und rechts und bemühte sich, nicht allzu sehr zusammenzuzucken, wenn plötzlich ein Stadtbüttel oder ein Mönch in schwarzer Kutte ihren Weg kreuzte. Ein paar Mal versuchte sie, Kontakt mit Mutter Sophia aufzunehmen, aber vergeblich. Das erstaunte sie allerdings kaum – wo immer sich die alte Äbtissin nun befinden mochte, ob in Freiheit oder weiterhin in der Gewalt der Inquisitoren, sie war gewiss noch immer sehr schwach. Und magische Gedankenbotschaften zu senden und zu empfangen, kostete einiges an geistiger Kraft, das wusste Klara schließlich aus eigener Erfahrung.
An einer Straßenecke blieb sie irgendwann stehen und sah einem Gaukler zu, der honigfarbene Bälle in die Luft warf. Der Mann jonglierte geschickt mit fünf Kugeln, die er beidhändig auffing und wieder in die Luft warf, scheinbar ohne hinzusehen. Klara lächelte ihm zu – er erinnerte sie so sehr an ihren Vater. Kai Thalgruber hatte die unglaublichsten Kunststücke beherrscht: Er konnte in vollem Galopp aus dem Sattel seines Rappen emporschnellen und einen Purzelbaum in der Luft vollführen, währendTharon, sein schimmernd schwarzer Hengst, wie der Sturmwind unter ihm dahinraste. Und natürlich konnte ihr Vater auch mit Bällen und Stöcken und Obststücken jonglieren – er warf sie scheinbar achtlos fort, und doch kehrten sie so unfehlbar in seine Hände zurück, als ob alle diese Dinge mit unsichtbaren Fäden an ihm festgebunden wären.
Der Gaukler schaute Klara verwundert an und beinahe wäre ihm eine seiner Kugeln aus der Hand gerutscht. Nicht nur verwundert, dachte Klara, eher schon zornig und empört – aber warum denn? Sein Blick glitt an ihrer Gestalt herunter, und da fiel ihr glücklicherweise wieder ein, dass sie ja Adrian Grünwald war – und natürlich schickte es sich für einen
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