OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
zusammengebundener Baumstämme bestand. Er beugte sich vor und rief ihr etwas zu, aber im Gurgeln und Tosen der Fluten konnte sie kein Wort verstehen. Da ging der Mann in die Hocke, nahm einen langen Holzstecken von seinem Floß auf und streckte ihn ihr über dem Wasser entgegen. Der Stecken tanzte wild über den Wellen hin und her, und Klara hatte schreckliche Angst, dass ihr das Holztrumm auf den Kopf krachen würde, wenn sie sich näher herangetraute.
Aber ihr blieb überhaupt keine Wahl – aus eigener Kraft würde sie das rettende Ufer nicht erreichen, das spürte sie nur allzu klar. Ihre Arme und Beine brannten vor Anstrengung und ihr Atem ging immer noch keuchend. Wenn sie von der Strömung in der Flussmitte gepackt würde, wäre es sowieso aus mit ihr – die wuchtigen Wellen würden sie gegen einen Bootsrumpf werfen, oder sie würde mit dem Kopf voran gegen einen der Baumstämme oder sonstiges Treibgut krachen, die der Fluss in furchterregenden Mengen mit sich führte.
Erneut warf Klara einen raschen Blick nach hinten. Einer der Bluthunde war zurückgefallen, doch der zweite paddelte wie besessen hinter ihr her. Wenn sie ihn nicht sehr bald abschüttelte, würde der verdammte Köter sie noch hier im Fluss zu fassen kriegen. Er würde seine gewaltigen Reißzähne in ihren Arm oder ihre Schulter schlagen und mit seiner Beute ans Ufer zurückschwimmen, während sie zwischen seinen Kiefern unaufhaltsam verbluten würde.
Der Holzstecken tanzte vor ihr über den Wellen, mittlerweile zum Greifen nah. »Na los, Kerl, greif zu!«, schrie der Flößer, undjetzt erkannte ihn Klara auch wieder: Es war der durstige Mann, der sie am Inquisitionsbau vorbeigelotst hatte. Aber wie war das nur wieder möglich? Also gehörte er doch dem Opus Spiritus an? Und welcher Gruppe innerhalb der Bruderschaft – den »Dichtern« oder den »Priestern«? Doch wie auch immer, sie musste sich jetzt entscheiden – und so umfasste Klara mit beiden Händen das Ende des tanzenden Steckens und ließ sich zum Floß heranziehen.
Vollkommen außer Atem klammerte sie sich am Floßrand fest. Sie konnte schon gar nicht mehr klar sehen, so ausgelaugt war sie. Mit ihrer allerletzten Kraft wollte sie sich eben auf das stampfende Gefährt emporhieven – da brach vor ihren Augen der bärtige Mann auf seinem Floß zusammen.
Klara schrie abermals auf und vergaß vor Entsetzen, sich an den Baumstämmen festzuhalten. Die Strömung riss das Floß gleich wieder von ihr fort und weiter den Fluss hinab. Mitten auf seinem Gefährt lag der durstige Mann auf dem Rücken und der Pfeil in seiner Brust schimmerte stählern im Morgenlicht. Halbtot vor Entsetzen warf Klara nochmals einen raschen Blick nach hinten: Der Bluthund war fast schon bei ihr – sie konnte seinen stinkenden Atem bereits riechen und jede einzelne geplatzte Ader in seinen hervorgequollenen Augen sehen.
Nur wenige Schritte hinter der schnaubenden, paddelnden Bestie trieb ein unscheinbares kleines Boot. Der Mann, der darin saß, trug ein purpurrotes Gewand, und der Helm auf seinem Kopf schimmerte im Sonnenlicht ebenso silbrig wie das Instrument, das er mit beiden Händen vor sich hielt.
Einen winzigen Moment lang hätte Klara beinahe geglaubt, dass es ein Harfe spielender Engel wäre.
Dann holte sie neuerlich tief Luft und tauchte unter.
Sie schwamm dicht über dem schlammigen Grund entlang, mit gleichmäßigen Bewegungen ihrer Arme und Beine. Bevor sie untergetaucht war, hatte sie sich noch eingeprägt, in welche Richtung sie schwimmen musste. Sie tauchte um ihr Leben – und sievergaß es keinen einzigen Augenblick, auch wenn sie sich zwang, an etwas anderes zu denken.
An die unzähligen glücklichen Tage, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen und auf dem Wagen mit ihren Eltern durch die Welt gezogen war. An jenen Moment im letzten August, als sie droben in Nürnberg auf der Straße gelegen und Amos sich über sie gebeugt hatte. »Bist du verletzt?«, hatte er gefragt und sie so liebevoll bekümmert angesehen, dass sie ihn am liebsten auf seine Lippen geküsst hätte. Oder an jenen Moment vor wenigen Wochen, als sie im Wunsiedeler Waisenhaus zum ersten Mal Amos’ Gedankenstimme gehört hatte. Oder an jenen …
Wieder begannen grellweiße Punkte vor ihren Augen zu wirbeln. Sie musste auftauchen, es ging einfach nicht anders – sonst würde sie auf der Stelle ersticken! Sie stieß sich mit den Füßen ab und schoss dem hellen, schwankenden Spiegel hoch über ihr entgegen. Doch kaum
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