OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
keine andere Wahl. Trithemius war ein mächtiger Mann, und obwohl Kronus und er wohl nicht immer einer Meinung gewesen waren, hatten sie ihr Leben doch beide demselben großen Werk gewidmet – der Erschaffung des Geisterbuchs.
Eine schmale Gasse führte zum Kloster hinauf, das oben auf einem Hügel thronte. Das Haupthaus war ein zweigeschossiges Bauwerk mit gleichmäßigen Fensterreihen, von einer hohen Mauer umschlossen. Links daneben ragte die Klosterkirche auf – zwei schlanke weiße Türme mit spitzen Schieferdächern über dem wuchtigen Kirchenschiff.
Er ließ den Klopfer auf die Pforte niedersausen. Geraume Zeit geschah überhaupt nichts, dann endlich ging im Tor ein Guckfenster auf. Dahinter erschien das runzlige Gesicht eines uralten Mönchs.
»Gott zum Gruß. Was wünschst du, mein Sohn?« Sein zahnloses Gemurmel war nur mühsam zu verstehen. »Wir haben keinen Maurer bestellt.«
Amos nahm den Hut von seinem Kopf. »Entschuldigt, Frater – ich bin kein Maurer. Das schwarze Gewand habe ich nur aus gewissen Gründen ausgeliehen.«
»Aus gewissen Gründen?«, wiederholte der Alte. »Ich begreife kein Wort.«
Amos setzte ein gewinnendes Lächeln auf. »Der Abt erwartet mich. Bitte meldet ihm, dass Amos von Hohenstein eingetroffen ist.«
»Ihr seid Amos von …?« Der greise Pförtner machte große Augen. »Warum sagt Ihr das nicht gleich?« Die Guckluke ging zu und nur ein paar Augenblicke später schwang mit rostigem Kreischen das Tor auf. »Herein mit Euch, junger Herr!«
Amos folgte dem alten Mönch über den Klostervorhof. Das Portal zum Haupthaus stand weit offen. Der Durchgang in den inneren Klosterhof hätte genügend Platz für vierspännige Karossen geboten. Türen führten links wie rechts in das Klostergebäude, doch der greise Pförtner schlurfte geradewegs weiter in den Innenhof.
Amos folgte ihm dichtauf. »Wohin bringt Ihr mich, Frater?«, fragte er. Der alte Mönch wandte nicht einmal seinen Kopf zu ihm zurück und Amos ließ es dabei bewenden. Natürlich würde ihn der Bruder Pförtner zu Abt Trithemius bringen, wohin denn sonst?
Hinter den vielerlei schmalen Fenstern spürte er ebenso viele Augenpaare, die ihm neugierig entgegen- oder argwöhnisch hinterhersahen. Doch Abt Trithemius war in keiner dieser Zellen oder Säle – seinen durchdringenden Blick aus wasserhellen Augen hätte Amos sogleich wiedererkannt. So erstaunte es ihn nicht, dass sie auch den Innenhof hinter sich ließen. Sie durchmaßen einen weiteren Durchgang und dahinter erstreckte sich ein geräumiger Garten. Es war eher ein Park, mit kunstvoll gewundenen Wegen und einem kleinen See in der Mitte. Bäume und Büsche waren so angeordnet und zurechtgeschnitten, dass man von keinem Punkt aus bis zum anderen Ende des Gartens sehen konnte.So wirkte der Park viel weitläufiger, als er in Wirklichkeit sein konnte.
Auch das unscheinbare kleine Bauwerk mit dem kupfergrünen Kuppeldach bemerkte Amos erst, als sie unmittelbar davor standen. Es war geschickt in eine Nische zwischen knorrigen alten Bäumen und der äußeren Klostermauer eingefügt worden. Drei wacklig aussehende Stufen führten zu einer schmalen Eingangstür empor, die viele Jahrhunderte alt sein musste. Auf den ersten Blick hatte Amos geglaubt, dass diese Tür von oben bis unten mit Eisen beschlagen wäre. Aber sie war aus Holz gezimmert, das vor Alter steinhart und schimmernd grau war, wie schrundiges Eisen oder sogar wie ein Echsenpanzer.
Leise stöhnend erklomm der Mönch die Stufen und stieß die Tür auf. »Kommt herein, Herr Amos, und nehmt Platz. Gewiss seid Ihr hungrig und durstig? Greift ungescheut zu!« Er trat zur Seite und bedeutete Amos, einzutreten. »Ich eile derweil zum Herrn Abt und melde ihm, dass Ihr eingetroffen seid.«
Damit schlurfte der alte Mönch wieder davon. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und Amos fand sich allein in dem seltsamen Gelass.
Es war ein fünfeckiger Raum, auf dem das Kuppeldach wie eine Bischofsmütze saß. Vier der fünf Wände waren von schmalen Fenstern durchbrochen, die allesamt auf den kleinen Park hinausgingen. Doch vor jedem Fenster stand ein kunstvoll zurechtgeschnittener Busch, sodass von dem Park dahinter kaum etwas zu sehen war. In der Mitte des Zimmers erhob sich ein hölzerner Tisch von gewaltigen Ausmaßen. Seine Platte war gleichfalls wie ein Pentagramm geformt und ruhte auf einem ungeheuer dicken Säulenfuß. Eine kreisrunde Steinbank zog sich um den Tisch herum – es sah beinahe aus wie ein in
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