OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
einfach diesen Menschenjägern überlassen, Mutter Sophia!
Doch wie sie auch hämmerte und mit überkippender Gedankenstimme schrie und flehte, die Tür ging nicht auf und von Mutter Sophia bekam sie keine Antwort mehr. Stattdessen wurde das Belfern und Heulen unten auf der Gasse immer lauter, und im nächsten Moment erbebte das Haus bis in seine Grundfesten unter einem mörderischen Stoß. Holz zerbarst, das Heulen der Hunde schwoll zu ohrenbetäubendem Gelärme an.
»Wir sind gut katholische Leute!«, hörte Klara weit unten im Haus eine verängstigte Frauenstimme kreischen – und da endlich fiel die Lähmung von ihr ab.
Klara fuhr herum, schnappte im letzten Moment noch ihr Bündel und warf es sich über die Schulter. Sie lief zur Wand gegenüber der Truhe, wie Mutter Sophia es ihr befohlen hatte, und tastete blindlings an dem Gebälk herum, das dort kreuz und quer durch die Wand verlief. Aber sie fand keinen Federzug – sie fand überhaupt nichts, womit sich eine Geheimtür öffnen ließe, nur Balken und gekalktes Mauerwerk.
Das Heulen der Hunde, das Stampfen von Schritten, das Trappeln und Trommeln von Pfoten wurde immer lauter – es dröhnte und echote in Klaras Kopf.
Was genau hatte Mutter Sophia gesagt? Dieser vermaledeite Federzug musste hier doch irgendwo … Sie zermarterte sich dasGedächtnis und gleichzeitig tastete sie planlos auf der Mauer herum. Hinter dem Balken! Jetzt fiel es ihr wieder ein. Der Federzug hinter dem Balken, hatte Mutter Sophia gesagt.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte ihren Arm so hoch wie nur möglich. Ganz da oben, als Abschluss der Wand, verlief ein Querbalken, und hinter dem musste also angeblich … Ah! Unter ihren Fingern spürte sie etwas Metallisches, einen Griff wie bei einer Eisenkanne. Sie zog daran, so fest sie konnte – und da sprang gerade vor ihr knirschend und malmend ein schmaler Durchgang im Mauerwerk auf.
Mutter, gehabt Euch wohl!
Ihre Verfolger mussten mittlerweile die verborgene Treppe gefunden haben – das ganze Haus schien zum Bersten angefüllt mit dem Gelärme der Hunde, der stampfenden Stiefel, der fluchenden Männer, die im Stockdunkeln an Ketten und Leinen aufwärtsgerissen wurden. Nur noch wenige Augenblicke, dann würden sie die vordere Geheimtür zu Mutter Sophias Versteck aufbrechen – und bis sie zur hinteren Kammer vorgedrungen wären, konnte es auch nicht mehr sehr viel länger dauern. Dann aber durfte nichts mehr darauf hindeuten, dass es hier hinten noch einen zweiten Zugang gab – auf die Dachböden der Häuserzeile hinaus.
Klara schlüpfte durch den schmalen Durchlass und drückte von der anderen Seite aus die steinerne Geheimtür in die Bresche zurück. Die Bluthunde würden natürlich wittern, dass sie gerade eben noch in dieser Kammer gewesen war – und an der Wandstelle, die jetzt wieder fest vermauert schien, würden sie sich die Schnauzen blutig stoßen vor Begierde, weiter hinter ihr herzujagen.
Ihr kriegt mich trotzdem nicht!
Klara fuhr herum und rannte los. Der Dachspeicher war in Dämmerlicht getaucht und mit allerlei Gerümpel zugestellt. Balken, über die sie hinwegsprang, zerbrochene Schindeln, die unter den Schuhsohlen knirschten. Aus dunklen Winkeln hoch drobenim Spitzdach starrten winzige rote Äuglein zu ihr herab: Fledermäuse! Klara sah im Rennen zu ihnen empor – und wäre beinahe in eine graue Gestalt hineingelaufen, die plötzlich vor ihr aus dem Boden gewachsen schien.
»Du also!«, sagte die Gestalt und hielt sie an den Armen fest.
Klara riss sich mit einem Schrei von ihr los. »Wer bist du – was willst … Frau Ulrika?« Sie starrte die hagere Frau im streng geschnittenen grauen Gewand ungläubig an. »Wie um Himmels willen kommt Ihr denn hierher?«
»Das sollte ich eher dich fragen«, gab die Leiterin des Waisenhauses der heiligen Ottilie zurück. »Obwohl ich die Antwort wohl so ungefähr schon kenne. Ich hätte niemals nachgeben dürfen, als mein Vater mich damals bedrängt hat, seinen gottlosen Logenleuten einen Unterschlupf zu verschaffen.« Sie deutete mit dem Kopf durch die Geheimtür im Mauerwerk, durch die Klara eben hindurchgeschlüpft war.
»Sie sind nicht gottlos, jedenfalls nicht alle – bitte glaubt mir, Frau Ulrika.« Klara wollte ihre Hand ergreifen, aber Ulrika von Hohenstein wich vor ihr zurück. »Beschützt Mutter Sophia – um der Barmherzigkeit willen!« Klara schaute sie flehentlich an. Doch im nächsten Moment fuhren sie und Ulrika gleichermaßen
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