OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
in unser Städtchen kommen würde.«
Sie schaute einen Moment lang gedankenversunken vor sich hin. »Meine Ärzte rieten mir dringend davon ab«, fuhr sie fort, »dieses ›verrufene Weib‹ aufzusuchen, aber ich lachte sie nur aus. Sie hatten mich ein Vermögen gekostet und mich trotzdem nicht geheilt – etwas Ärgeres als den Tod würde ich auch bei der ›verrufenen‹ Vera nicht finden. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mich in meiner Sänfte zum Stadttor hinaustragen ließ. Auf einer Wiese standen dort Frauen und Mädchen in langer Reihe vor einer windschief aufgespannten Zeltwand an. Anfangs war mir doch ein wenig mulmig – schließlich hatten meine Ärzte behauptet, dass diese Heilfrau mit den Dämonen im Bunde sei.«
Mutter Maria lächelte versonnen. »Aber als ich dann endlich an der Reihe war und hinter Veras Wandschirm treten durfte, da fielen alle Bedenken von mir ab. Diese Frau war mit keinen Teufeln im Bunde, das spürte ich sofort. Sie untersuchte und befragte mich und stellte dann eigenhändig Heilsalben und Tinkturen für mich zusammen, die ich nach ihren genauen Anweisungen verwenden sollte. Ich führte alles aus, wie sie es angeordnet hatte,und kaum eine Woche darauf begann sich mein Befinden zu bessern. Und als Vera Thalgruber ein paar Monate später wieder in unsere Stadt kam, da war ich dank ihrer Arzneien gänzlich wiederhergestellt. Trotzdem reihte ich mich neuerlich in die Schlange der Leidenden ein, für die sie oftmals die allerletzte Hoffnung war. Und als ich an die Reihe kam, fiel ich vor ihr auf die Knie und dankte ihr unter Tränen.«
Mutter Maria unterbrach sich und wischte sich verstohlen über die Augen. »Nun, ich will hier nicht in rührseligen Erinnerungen schwelgen – damals jedenfalls begann meine Freundschaft mit Vera. Wir trafen uns immer nur im Geheimen, denn als gut katholische Edelfrau konnte ich mich mit einem fahrenden Heilweib nicht sehen lassen. Deine Mutter verstand das vollkommen, meine Liebe«, fügte sie hastig hinzu, als Klara den Mund aufmachte, um etwas einzuwerfen. »Vera war eine wahrhaft weise Frau. Sie selbst wollte, dass wir uns nur im Verborgenen trafen, denn sie wollte niemanden in Gefahr bringen – mich nicht und vor allem aber nicht dich.«
Fieberschauer rieselten über Klaras Rücken. »Mich?«, fragte sie mühsam. Sie konnte Mutter Maria in ihrem Sessel nur noch verschwommen sehen, so zerschlagen fühlte sie sich. Aber sie durfte jetzt auf keinen Fall einschlafen – nicht bevor Mutter Maria ihr zumindest noch erklärt hatte, was diese rätselhaften Worte bedeuten sollten. »Wieso hätte ich in Gefahr geraten können, wenn meine Mutter vor aller Augen mit Euch zusammengetroffen wäre?«
Mutter Maria beugte sich vor und tätschelte Klaras Hand. »Damals begannen die Bischöfe und Priester gegen Hexen und Zauberer zu hetzen«, sagte sie. »Deine Mutter ahnte wohl, dass die katholischen Menschenjäger es auf ihresgleichen abgesehen hatten – auf die fahrenden Leute, ihrer heidnischen Bräuche und Anschauungen wegen, und vor allem auf die heilkundigen Frauen. Und so beschwor mich Vera eines Tages, dass ich mich um dich kümmern sollte, falls sie selbst und dein Vater dazu irgendwann nicht mehr imstande wären. Und ich versprach es ihr.«
Klara spürte, wie ihre Augen vor Erstaunen weit wurden. » Ihr habt also dafür gesorgt, dass ich ins Waisenhaus von Mariä Schiedung kam, nachdem meine Eltern … Ihr wisst schon …« Sie konnte nicht gleich weitersprechen. Ein brennend heißer Kloß saß ihr mit einem Mal in der Kehle. »Nach jener Nacht«, brachte sie schließlich heraus, »habt Ihr mich zu Mutter Sophia bringen lassen?«
Die ältere Frau nickte ihr mit einem begütigenden Lächeln zu. »Es war wohl höhere Fügung, dass ich, gerade einen Tag nachdem die Mordbrenner euren Wagen angezündet hatten, wieder einmal mit Vera verabredet war. Als sie nicht zu unserem Treffen erschien, schickte ich zwei meiner Bediensteten aus und sie kehrten mit der furchtbaren Nachricht zurück. Ich schrieb augenblicklich einen Brief an Mutter Sophia und ließ dich noch am selben Tag nach Mariä Schiedung bringen.«
Klara war nun völlig durcheinander. Der Kopf dröhnte ihr, doch viel schlimmer schmerzte die Wunde tief in ihr, die durch Mutter Marias Worte wieder aufgerissen war. Sie schloss die Augen. Eigentlich wollte sie jetzt nur noch schlafen. Doch in ihrem Innern wirbelten grausige Erinnerungsbilder umher – wie sie im Straßengraben erwacht war,
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