OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
ringsum tiefe Nacht, und ihr Planwagen brannte lichterloh.
Es dauerte einige Zeit, bis sie ihre aufgewühlten Gefühle wieder unter Kontrolle hatte. Sie schaute Mutter Maria an. Eine Frage musste sie ihr unbedingt noch stellen, sonst würde sie die ganze Nacht darüber nachgrübeln. »Mutter Maria«, sagte sie, »wussten meine Eltern denn vom Opus Spiritus?«
Die ältere Frau schüttelte den Kopf.
»Aber Ihr wusstet durch meine Mutter, welche besonderen Fähigkeiten ich als kleines Mädchen offenbart hatte?«
Mutter Maria hob die Schultern. »Vera hat mir wohl einmal davon erzählt. Aber schon als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, meine Liebe, da wusste ich, dass du auserwählt bist.« Sie strahlte Klara an.
»Ihr wusstet es?«, wiederholte Klara. »Aber woher denn?«
»Ein Blinder hätte gesehen, dass du ein ganz besonderes Kind bist«, sagte die Nonne. »Und nun schlafe, Klara. Damit du morgen wirklich wieder bei Kräften bist.«
Sie streichelte ihr sanft übers Haar, und die Augen fielen Klara aufs Neue zu. Ein Blinder?, dachte sie. Aber was sollte das denn heißen? Mutter Maria war ihr bei dieser Frage ausgewichen, doch Klara konnte sich jetzt einfach nicht länger wachhalten. Und sowieso konnten sie doch morgen in aller Ruhe weiterreden. Wichtig war im Moment nur eines, sagte sich Klara: Ihre Mutter hatte dieser Frau vertraut, also war sie bei ihr auch in bester Obhut. Mutter Maria würde sie wieder gesund machen, und sie würde dafür sorgen, dass Klara und Amos endgültig vor den Ketzer- und Bücherjägern in Sicherheit wären.
Nur ganz am Rande bekam sie noch mit, wie Mutter Maria ihr ein frisches Pflaster auflegte. Mit einem glückseligen Lächeln auf den Lippen schlief Klara ein.
9
A
m nächsten Morgen
fühlte sich Klara tatsächlich schon viel frischer. Das Fieber war verschwunden, von den Schmerzen war nur ein leises Pochen zurückgeblieben. Laut Mutter Maria musste sie einen heftigen Schlag abbekommen haben und die Wunde hatte sich überdies entzündet.
Aber das Pflaster auf ihrem Hinterkopf, mit dem Klara nun in die Kutsche einstieg, war kaum mehr halb so groß wie der Verband, den Mutter Maria ihr gestern Abend noch angelegt hatte. Und dieser sicht- und fühlbare Beweis, dass sie schon wieder fast gesund war, flößte ihr zusätzliche Kraft ein.
Mit neuer Zuversicht blinzelte sie in die Morgensonne hinaus, als ihre Kutsche von dem schmalen Waldweg auf die Landstraße einbog. Der Kutscher schwang auch gleich wieder die Peitsche und trieb die Pferde zu rascherer Gangart an.
Klara spürte die Anspannung ihrer Reisegefährtinnen. »Wohin bringt Ihr mich eigentlich?«, fragte sie Mutter Maria. »Und weshalb seid Ihr so beunruhigt?«
Die ältere Nonne lächelte sie beruhigend an. »Wir fahren nach Würzburg. In der Nacht haben wir Nachricht bekommen – die Bücherjäger sind uns auf der Spur. Aber sei unbesorgt, meine Liebe, sie können uns nicht gefährlich werden.«
Sie sagte das in einem so entschiedenen Tonfall, dass Klara nicht weiter nachfragte. Sie wollte doch selbst nur zu gerne glauben, dass sie bei diesen Frauen in Sicherheit war – mochten es nun echte Nonnen sein oder nicht. Ihre eigene Mutter hatte diese Mutter Maria schließlich ihrer Freundschaft gewürdigt! Und Vera Thalgruber war gewiss keine leichtgläubige Person gewesen, die der Erstbesten ihre Rezepte anvertraute – geschweige denn, ihr einziges Kind.
Geraume Zeit fuhren sie schweigsam in den beginnenden Tag hinein. Klara fühlte sich noch immer ein wenig benommen. Es gab noch so vieles, was sie Mutter Maria fragen wollte – sie wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte.
»Vorgestern in Nürnberg«, sagte sie und schaute von einer Nonne zur anderen, »habt Ihr Euer Leben für Mutter Sophia gewagt. Ihr steht also gewiss auf derselben Seite wie sie?«
Mutter Maria und die anderen Frauen wechselten rasche Blicke. »Es war ihr sehnlichster Wunsch, dich noch einmal zu sehen«, sagte die ältere Nonne.
Ohne weiter auf Klaras Frage einzugehen, erzählte sie mit knappen Worten, wie sie Mutter Sophia aus dem Heilig-Geist-Spital befreit hatten. Cellari hatte angeordnet, dass zwei Nonnen aus dem Kloster Mariä Schiedung in die Burgstraße kommen sollten, um ihre einstige Äbtissin abzuholen. Schwester Magdalena und Mutter Maria waren dieser Weisung gefolgt und hatten die echte Mutter Sophia vom Inquisitionshaus zum Heilig-Geist-Spital gebracht. Die beiden anderen Augustinerinnen hatten unterdessen eine Doppelgängerin der
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