OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
dich endgültig in Cellaris Hände geben?«
»Nein, Herr«, wimmerte Hannes, »bitte nicht!« Ganz kurz tauchte vor seinem geistigen Auge neuerlich jenes Schreckensbild auf, das er so lange Zeit sorgsam vor sich selbst verborgen hatte. Harmo, wie er in der Jauchegrube lag und starr zu ihm emporsah. Mit Skythis’ Hilfe, sagte sich Hannes, hatte ich alles Vergangene in meinem Inneren eingekerkert – und so soll es auch künftig wieder sein. Meine Angst will ich wieder in ihr Verlies einmauern, und niemals mehr soll sie hervorbrechen und mich in dieser Weise verwirren dürfen.
Er holte tief Luft und sah Skythis an. »Auf der Landstraße nach Bamberg«, sagte er, »schon weit hinter Erlangen, da ist … sie.« Er schluckte krampfhaft. »Klara – Ihr wisst schon, Herr. Wir müssen ihr nur folgen, um zu dem Buch zu gelangen, das spüre ich ganz genau.«
Nach diesen Worten schluchzte er auf und schlug beide Hände vor sein Antlitz. Er hatte Klara verraten, seine Liebe verraten – und
Das Buch der Geister
obendrein! Niemals würde ihm Klara verzeihen, so wenig wie er sich selbst. Ich bin verloren, dachte Hannes. Nein, ich bin gerettet – ich bin beides, untrennbar beides, gerettet und verflucht.
Der Unterzensor schien sich um die Gewissensqualen seines Hilfsschreibers nicht weiter zu bekümmern. Nach einem letzten prüfenden Blick auf Hannes beugte er sich aus dem Seitenfenster und bellte Gregor einen Befehl zu.
In halsbrecherischem Trab ging es nun zur Kaiserburg hinauf, durch das Tiergärtnertor und hinaus auf die Landstraße nach Erlangen und Bamberg. Kaum war die Stadt hinter ihnen versunken, da hielt Gregor an und machte sich am Falkenkäfig zu schaffen, der hinten an der Kutsche angekettet war. Ein Falke stieg auf und kehrte wenig später zurück, gefolgt von sieben Bücherjägern im Galopp.
Niemals vorher waren Hannes die Gepanzerten so sehr wie urzeitliche Ungeheuer vorgekommen. Weit vorgebeugt saßen sie auf ihren Rössern, die gleichfalls in Überwürfe aus Flickenleder eingehüllt waren. Wie Fabelwesen sahen sie aus, halb urzeitlicher Jäger, halb unförmiges Reittier.
Abermals beugte sich Skythis aus dem Kutschfenster. »In Richtung Bamberg, Männer – los geht’s!«
Gregor schwang die Peitsche über den vier kräftigen Kutschpferden – und damit begann die tollste Hatz, die Hannes jemals erlebt hatte. Ihr Wagen donnerte so rasend schnell voran, dass er meinte, kaum mehr ein- und ausatmen zu können. Wie Sturmwind, so brauste und wirbelte es durch die Kutschkabine – zum vorderen Fenster herein und hinten wieder hinaus – und die hölzernen Läden klapperten und die Leinenvorhänge knatterten wie auf einem Segelschiff bei sturmgepeitschter See.
Die sieben Gepanzerten galoppierten ihnen teils voraus, teils hinter ihnen her. Mit gellenden Rufen scheuchten sie alles von derStraße, was langsamer als sie selbst vorantrabte oder ihnen behäbig entgegenkam. Bauernkarren, wandernde Handwerksgesellen, sogar prachtvolle Karossen mit aufgepflanzter Fürstenstandarte – alles musste vor ihnen weichen, notfalls in den Graben, wo Hannes mehr als einmal voll beladene Apfelkarren umkippen und entgeisterte Bauerngesichter zu ihnen heraufglotzen sah.
So ungestüm rasten sie auf der holprigen Straße voran, dass Hannes und Skythis auf ihrer Sitzbank mal gegeneinander geworfen wurden, dann wieder zum Kutschhimmel emporflogen. Doch der Unterzensor nahm ungerührt jeden Schlag und jeden Stoß in Empfang und sah Hannes nur hin und wieder eindringlich an. Die Räder rumpelten, die Achsen ratterten, Gregor brüllte und peitschte – bei diesem Getöse hätten sie einander schon in die Ohren schreien müssen, damit einer die Worte des anderen verstand. Aber sowieso war ja zwischen Hannes und dem Unterzensor alles Nötige gesagt – und sogar mehr, unverzeihlich viel mehr als das, wie ein Teil von Hannes noch immer in seinem Innern klagte.
So oder so reichte es völlig aus, wenn Hannes dem Unterzensor eifrig zunickte, wann immer er den durchbohrenden Blick von rechts her spürte. Und sein Nicken bedeutete: Jawohl, Herr, wir sind auf ihrer Fährte und wir holen unaufhaltsam auf.
Dann schaute Skythis wieder nach vorn, und Hannes sank neuerlich in sich zusammen und spähte verstohlen in sich hinein. Da war sein eigenes magisches Herz und es leuchtete nur noch matt und flackerte erbärmlich. Und er spürte ja, dass Klara ganz in seiner Nähe war, ein paar Dutzend Meilen voraus auf einem Pferd oder einem Wagen und
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