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OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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ihn nicht ernst und das ärgerte Amos – aber sehr viel mehr noch ärgerte er sich über sich selbst. Warum musste er auch ausgerechnet hier und jetzt von dunklen Vorahnungen geplagt werden? Dabei schien doch nun endlich alles gut zu werden – ja, sogar tausend Mal großartiger, als sie es sich in ihren Träumen jemals ausgemalt hatten.
    Noch während er darüber nachgrübelte, kehrte der Mann, der eben in den Tempel getragen worden war, auf den Platz zurück. Hinter ihm erschienen die beiden Männer, die ihn mit der Trage herbeigeschleppt hatten. »Gepriesen seien die Geister und die Priester von Rogár!«, schrie einer von ihnen. »Seht doch, unserHerr war gelähmt – und nun geht er wieder auf seinen eigenen Füßen, so flink und unermüdlich wie ein junger Jäger!«
    Einige der Umstehenden antworteten mit Beifallsrufen. Aber allzu großes Aufsehen rief die wundersame Heilung nicht hervor. »Welche Zeichen?«, rief einer dem Geheilten zu. »Und wo hat der Priester sie dir hingeschrieben?«
    »Darüber muss ich schweigen«, antwortete der Geheilte, der gerade in diesem Moment an Amos und Klara vorbeiging. Sein Gang war ein wenig storchenhaft, doch beharrlich setzte er Schritt vor Schritt und war wenig später in der Menge verschwunden.
    Amos musste plötzlich lachen. Ich weiß auch nicht, was ich mir da schon wieder eingebildet hatte , sagte er. Unsere ebenbildlichen Ahnen sind ganz offensichtlich große Zauberpriester und in Kürze werden wir genauso mächtige Schriftmagier sein. Also ist alles in bester Ordnung, oder?
    Klara nickte ihm mit strahlendem Lächeln zu. Als wir mit Karol hier waren, sagte sie, muss der Tempel schon verfallen und mit Dickicht überwuchert gewesen sein. Oder hast du damals irgendetwas von dem Bauwerk bemerkt?
    Erstaunt sah sich Amos aufs Neue um. Der heilige Buchenhain begann unmittelbar hinter dem Tempel und erstreckte sich bis zur Bergkuppe empor. Die Lichtung, auf der Karol seinen Wagen abgestellt hatte – oder, besser gesagt, in ungefähr sechshundert Jahren abstellen würde –, musste also irgendwo rechts von ihnen sein. Du hast recht , sagte er, wenn von dem Tempel auch nur ein paar Steine noch aufeinander gestanden hätten, wäre uns das bestimmt aufgefallen. Also muss er irgendwann vorher von christlichen Rittern niedergebrannt worden sein. Aber warum haben sie nicht schon bei diesem früheren Überfall auch den heiligen Buchenhain zerstört?
    Klaras Lächeln wurde mit einem Mal wehmütig. Wahrscheinlich waren es die Priester von Rogár selbst, die ihren Tempel zerstört haben . Nur deshalb konnte der heilige Hain so lange noch im Verborgenen weiter bestehen. Vor tausend Jahren durften es die Menschennoch wagen, die alten Götter und Geister in einem so auffälligen Bauwerk offen anzubeten. Aber die Verfolgung der Heiden hat wohl nicht sehr viel später begonnen – und von da an mussten sich alle, die nicht zu dem christlichen Gott und seinen Heiligen beten wollten, heimlich in Erdlöchern und Felshöhlen versammeln .
    Tröstend legte Amos einen Geisterarm um sie. Er konnte ihren Kummer und ihre Bitterkeit nachfühlen. Seit vielen hundert Jahren wurden die Anhänger der alten Heidenkulte im Namen des Christengottes grausam verfolgt. Das war Unrecht und würde immer Unrecht bleiben – und doch wurde in ihm jenes rätselhafte Unbehagen immer stärker, seit sie hier beim Tempel eingetroffen waren. Etwas sehr Ähnliches hatte er empfunden, als er am Grund jenes uralten Eichbaums gesessen hatte, umgeben von Totenkopfidolen, modrigen Püppchen und sonstigem Mummenschanz. Meinolf und die Purpurkrieger hatten den Eichbaum in Brand gesteckt, einfach weil er in den Augen ihrer Feinde ein Heiligtum darstellte, aus keinem anderen Grund. Doch Amos hatte damals zweierlei empfunden: dass Bruder Meinolf aus Hass und Zerstörungswut handelte, nicht im Geist der Liebe, wie es seine Religion eigentlich vorsah. Und dass es ganz unabhängig davon mit der alten Heidenmagie irgendetwas höchst Unbehagliches auf sich hatte. Er verstand nach wie vor nicht im Mindesten, was ihm an den heidnischen Bräuchen und vor allem an den magischen Schriftzeichen dort drüben auf der Tempelfassade plötzlich so sehr missfiel. Doch er spürte klarer als jemals vorher, dass ihm an der alten Magie irgendetwas zutiefst unheimlich war.
    Aufmerksam beobachtete er aufs Neue den Eingang des Tempels. Bedrückt, mit demütig oder ängstlich gesenkten Köpfen, traten die meisten Besucher ein und sichtlich erleichtert

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