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OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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honigweicher Mädchenstimme.
    Die Brautleute gehorchten.
    Die Priesterin warf die eine Handvoll Steine links, die andere rechts in eine Schale, die mit einer Art Schlamm gefüllt waren. Sie schwenkte die Schalen, wälzte die Steine darin hin und her. Dazu murmelte und kreischte, fauchte und sang sie Anrufungen in einer Sprache, die selbst in Amos’ und Klaras Geisterohren ganz unbegreiflich klang. Und dann auf einmal beugte sich die Priesterin blitzartig nach vorn, riss die Brautleute bei Haaren oder Kragen zu sich heran und drückte ihre Stirnen in die mit Steinen und Schlamm gefüllten Schalen.
    Die Braut stieß einen leisen Schrei aus, der Bräutigam atmete zischend zwischen den Zähnen aus. Aufs Neue begann es, im »Geistertor« zwischen den Priestersockeln zu donnern und zu blitzen.
    Beharrlich hielt Klaras ebenbildliche Ahnin die Köpfe der jungen Brautleute in die Schalen voller Schlamm gedrückt. »Durch die Gnade der Geister wirst du Kinder bekommen, fünf an der Zahl«, schrie sie mit kreischend hoher Stimme auf die junge Frau hinab. »Drei von ihnen werden leben, weil die Geister sie behüten und auf dem vorbestimmten Weg geleiten werden – durch dich«,fügte sie mit fauchender Raubkatzenstimme in Richtung des Bräutigams hinzu. »Geht jetzt, die Geister sind mit euch«, schloss sie mit sanfter Mädchenstimme und öffnete ihre Augen.
    Die Brautleute stammelten »Dank, Herrin, Dank« und rappelten sich auf. Ihre Gesichter waren vom Haaransatz bis zu den Wangen hinab mit Schlamm beschmiert. Auf ihren Stirnen prangte ein Gewirr ineinander verhakter Zeichen. Bei der jungen Braut fiel Amos vor allem ein Zeichen auf, das einem himmelwärts strebenden Fisch ähnelte. Auch das F mit den aufwärtswinkenden Armen entdeckte er auf ihrer Stirn und überdies eine Art B, das allerdings mit scharfen Ecken statt mit weichen Bögen ausgeführt war. Kohlschwarz waren die Lettern auf der Stirn der jungen Frau, blutrot prangte dagegen der magische Schriftzug über den Augen des Bräutigams. Ein aufwärtsweisender Pfeil, ein eckig gezeichnetes S und dazwischen eines jener Zeichen, die Amos und Klara schon draußen auf der Tempelfassade gesehen hatten.
    Die Raubvogelkralle.
    Fassungslos starrte Amos dieses Zeichen an. Vorhin war ihm die Ähnlichkeit gar nicht aufgefallen und auch bei dem Bräutigam war sie auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Dafür war das Krallenzeichen auch hier viel zu kunstvoll mit den Lettern zu seiner Linken wie zur Rechten verknüpft.
    Und doch war es ein X, nichts anderes, ganz genauso blutrot auf die Stirn geschrieben wie damals, in jener schrecklichen Nacht, auf Höttsches Stirn.
    Amos wurde ein wenig übel. Vor Grauen und vor Angst. Auf seiner Stirn, flüsterte er, was ist das, Klara?
    »Auch ich gehöre dem Bund an«, hatte Höttsche damals zu Amos’ Eltern gesagt.
    Klara schaute zu dem jungen Bräutigam, der eben seiner Frau auf die Beine half. Pfeil, Raubvogelkralle und Blitz, sagte sie. Was ist damit?
    Amos konnte nicht antworten, nicht einmal mit seiner leisesten Gedankenstimme: Gerade in diesem Moment hob die Priesterinihren Kopf und sah ihn und Klara an. Ihr Blick war verschwommen, so als ob sie soeben aus traumreichem Schlaf erwacht wäre. »Ihr habt genug gesehen«, sagte sie mit der weichen Stimme jenes kleinen Mädchens, »und nun geht dorthin, wo man auf euch wartet.«
    Die Brautleute beugten ihre Köpfe noch tiefer und taumelten auf das helle Rechteck der Tempeltür zu. Amos aber sah Klaras ebenbildliche Ahnin an und fragte in beschwörendem Tonfall: Hast du mit ihnen gesprochen – oder mit uns?
    Nur ein kurzes Zusammenziehen ihrer Augen verriet, dass die Priesterin ihn gehört hatte. »Geht dorthin«, wiederholte sie in honigweicher Sanftheit. Mit dem Kopf deutete sie fast unmerklich zur anderen Seite des Tempels, wo der männliche Priester auf seinem Sockel saß.
    Vom Eingang her näherten sich der Priesterin bereits die nächsten Bittsteller, gefolgt von einem ganzen Pulk schwer beladener Träger. Also gut, sagte Amos zu Klara, dann soll eben er unsere Fragen beantworten . Er fasste ihre Hand und gemeinsam schwebten sie um den Bodenspalt herum und auf die linke Tempelhälfte zu.
    Was für Fragen meinst du? , flüsterte Klara. Die Geister sprechen aus unseren ebenbildlichen Ahnen – und sie wählen anscheinend auch die magischen Schriftzeichen aus. Die Priester sind wohl nur ihre Behausungen und Werkzeuge .
    So habe ich es auch verstanden, gab Amos flüsternd zurück, und die

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