OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
tun hätte.
Amos fühlte sich immer noch ganz schwindlig. Es war alles so anders, als er es sich seit Langem zurechtgelegt hatte. Höttsche hatte in jener Nacht niemanden umgebracht, und er hatte auch niemals den Auftrag erhalten, Amos’ Eltern zu ermorden. Ganz im Gegenteil: Er war mit dem Angebot gekommen, alles auf friedliche,ja großherzige Weise zu regeln, und seine Begleiter, die beiden Rechtsgelehrten, hatten sogar alle nötigen Dokumente schon vorbereitet. Der einzige Leidtragende wäre Onkel Heribert gewesen und der hatte nun wahrlich kein Mitleid verdient. Alles andere war offenbar eine unglückliche Fügung gewesen. Heftige Stürme waren im Fichtelgebirge keine Seltenheit, und schon mehr als einmal war es geschehen, dass ein harmloses kleines Feuer, von Windböen angefacht, zur brüllenden Flammenwalze anwuchs.
Erst ganz allmählich wurde Amos klar, was das alles für ihn selbst und für Klara bedeutete. Höttsche hat meine Eltern nicht umgebracht , sagte er, immer noch tief erstaunt. Auch Trithemius und die anderen »Priester« haben keine Schuld an dem, was damals hier passiert ist .
Jedenfalls nicht mehr Schuld als meine Eltern, fügte er still für sich noch hinzu. Schließlich hatte seine Mutter sogar zuerst auf Höttsche geschossen, wenn auch nur aus Angst um ihren Sohn – und daraufhin erst hatte der Hauptmann ihre Haustür aufgesprengt. Es war ein schreckliches Unglück gewesen, und seltsam war allerdings, dass Klaras Eltern ein Jahr vorher anscheinend durch ein ganz ähnliches Unglück umgekommen waren.
Also können wir Trithemius auch in allem anderen trauen, oder? Klaras Gedankenstimme klang hoffnungsvoll, wenn auch mit leise zweifelndem Unterton.
Amos dachte an die kratzige Stimme des Abtes und verspürte wie jedes Mal einen leisen Schauder. Trithemius und mehr noch dessen »Ziehsohn« Faust waren ihm nach wie vor unheimlich, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Die »Priester« vom Opus Spiritus hatten ihr halbes Leben lang dafür gekämpft, dass sie beide, Klara und er, von den Geistern erleuchtet und zu mächtigen Schriftmagiern wurden. Auch Kronus und Mutter Sophia hatten für diese gemeinsame Sache gewirkt und sogar ihr Leben hingegeben. Beide hatten zwar immer betont, dass die alten heidnischen Künste einzig und allein in dichterischen Werken überleben dürften, aber vielleicht waren sie in diesem Punkt einfach zu strengoder zu ängstlich gewesen – und letzten Endes war der Unterschied doch wirklich nicht allzu groß. Ob man nun magische Geschichten auf Papier schrieb oder magische Zeichen in Schilde oder Türschwellen ritzte – Schriftmagie war es hier wie dort. Und außerdem war die Vorstellung einfach großartig, dass Klara und er selbst nun zu solchen mächtigen Zauberpriestern erleuchtet werden sollten. Bestimmt hätten auch Kronus und Mutter Sophia letzten Endes eingewilligt, wenn sie die Gelegenheit erhalten hätten, alles so klar zu überschauen, wie Amos und Klara es nun konnten.
Ich denke schon, dass wir ihm trauen können , sagte Amos, nachdem er sich alles so zurechtgelegt hatte.
Derweil hatte Höttsche sein Pferd losgebunden und sich in den Sattel geschwungen. Wie von Dämonen gehetzt galoppierte er durch den prasselnden Regen davon.
Dann nichts wie zurück – oder voran – nach Würzburg , sagte Klara. Sie fassten einander wieder bei den Händen, schlossen ihre Augen und stellten sich so lebhaft wie überhaupt möglich die weit geöffnete Kuppel vor, durch die sie gleich wieder in die Einsiedelei hinabschweben würden.
8
F
ür einen atemberaubenden Moment
sahen Amos und Klara sich selbst, wie sie da unten am Boden des hohlen Eichbaums lagen. Ihre Augen waren geschlossen, sie hielten einander bei den Händen und lächelten wie in einem angenehmen Traum. Im nächsten Moment waren sie in ihre Körper zurückgesaust und richteten sich auf ihrem Strohlager auf.
»Auch ihr hattet mich im Verdacht, aber ich nehme es euch nicht übel.« Der Abt stand vor dem Spalt im Baumstamm und spähte zu ihnen herein. »Kronus, Mutter Sophia und die anderen selbst ernannten ›Dichter‹ in unserem Bund hatten sich da in etwas verrannt, das mit der Wirklichkeit nicht allzu viel Ähnlichkeitaufwies. Doch ihr habt ja nun mit eigenen Augen gesehen, wie sich alles tatsächlich abgespielt hat.«
Klara und Amos waren beide noch ein wenig benommen von ihrem magischen Flug. Überdies fühlten sie sich nun einigermaßen zerknirscht, denn sie hatten den Abt ja die ganze Zeit über
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