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OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Vorstellung, nur eine Art Gefäß der Geister zu sein, gefällt mir noch weniger als dir. Aber was stört dich auf einmal so sehr daran, Klara? Du hast mir doch öfter erzählt, dass in deinem Vater vielerlei Geister gehaust hätten und er sich über die Christen lustig gemacht hat, weil die mit einer einzigen Seele auskommen müssten.
    Klara hörte plötzlich auf voranzuschweben, und weil sie Amos’ Hand weiter festhielt, musste er notgedrungen gleichfalls innehalten. Warte einen Moment , flüsterte sie. Ich weiß schon, was du meinst – mein Vater konnte auch mit unterschiedlichen Stimmensprechen, und manchmal schien es wirklich, als ob er aus mehreren Personen bestehen würde. Aber bei ihm war es etwas ganz anderes. Wie soll ich dir das erklären? Sie kräuselte ihre Geisterstirn. Es war trotzdem immer er , der da redete oder lachte oder Kunststücke machte, verstehst du? Er war mal ein Kind, dann ein wilder Krieger, der Säbelkunststücke aufführte, dann wieder ein romantischer Jüngling, der mit sanfter Stimme Verse deklamierte – aber man spürte und sah und hörte immer ihn selbst dabei.
    Sie schaute verstohlen zum Sockel der Priesterin zurück, die gerade wieder anhob, mit hoher Stimme auf die neuen Bittsteller einzukreischen. Meine ebenbildliche Ahnin dagegen, fuhr sie fort – wenn die Geister aus ihr sprechen, dann ist es, als wäre sie selbst ganz und gar aus ihrem Körper verjagt. Ein leeres Gefäß, ein seelenloser Apparat, dessen Mund und Hände einzig von den Geistern bewegt werden.
    Ich finde sie auch ziemlich unheimlich , sagte Amos. Aber den Priester da drüben, meinen ebenbildlichen Ahn, will ich eigentlich ganz etwas anderes fragen .
    Was denn?, fragte Klara.
    Die Raubvogelkralle auf der Stirn des Bräutigams, flüsterte Amos und das Herz schlug ihm mit einem Mal bis zum Hals. Wenn man sich die Zeichen drum herum wegdenkt, sieht sie ganz genauso aus wie das X auf Höttsches Stirn! Das kann doch kein Zufall sein, Klara – aber was hat es zu bedeuten?
    Sie zuckte mit den Schultern. Soweit ich weiß, war dieses Zeichen in der alten Runenschrift gar kein X, sondern ein G.
    Ein G?, wiederholte Amos. Und woher weißt du das schon wieder?
    Von meinem Vater natürlich , gab Klara zurück. Er kannte ein paar von den alten Zeichen, mit denen man Geister herbeirufen kann. Und als ich noch ganz klein war, höchstens sechs, sieben Jahre, da hat er sich dieses alte G – die Raubvogelkralle – sogar immer abends in die linke Hand gemalt, bevor wir uns schlafen legten.
    In seine Hand? Warum das denn?
    Klara wollte sich wieder in Bewegung setzen, aber Amos hielt ihre Hand fest und bewegte sich nicht vom Fleck. Vor dem Sockel seines ebenbildlichen Ahns kauerten mittlerweile zwei Männer mittleren Alters, und der Priester sprach mit pfeifender Stimme auf die beiden ein. Auch er hat keine eigene Stimme, dachte Amos, auch aus ihm sprechen nur die Geister, auch er ist nur ihr willenloses Gefäß.
    So genau weiß ich das auch nicht , flüsterte Klara . Aber du hast ja gehört, was die Priesterin eben gesagt hat – die Zeichen auf seiner Stirn sollen bewirken, dass die Geister diesem jungen Bräutigam helfen, seine Kinder zu behüten und auf ihrem Weg zu geleiten. Ihre Hand krampfte sich um Amos’ Finger. Meinem Vater, fuhr sie stockend fort, haben die Geister in jener Nacht aber leider nicht geholfen , mich zu beschützen.
    In der »Geisterpforte« zwischen den Priestersockeln begann es neuerlich, zu donnern und zu blitzen, und Amos’ Gedanken fingen mit einem Mal zu wirbeln an. Gütiger Gott, Klara, sagte er, vielleicht haben die Geister ja genau das gemacht – dich behütet und auf dem Weg geführt, den du nach ihrem Willen gehen solltest? So wie sie es auch bei mir gemacht haben – und beide Male waren gerade unsere Eltern ihnen im Weg?
    Klara schüttelte den Kopf und machte ein abwehrendes Gesicht, so als ob sie kein weiteres Wort hören wollte. Aber Amos konnte jetzt einfach nicht aufhören. Doch zumindest ließ er sich von ihr weiter zum Sockel seines ebenbildlichen Ahns ziehen, der unterdessen begonnen hatte, mit Schriftzeichen bemalte Holzstäbchen durch die Luft zu wirbeln.
    Die Geister müssen es gewesen sein, fuhr Amos fort, die Höttsche in unserem Keller damals genau so ein X – oder eben ein altes G – auf die Stirn geschrieben haben wie heute dem Bräutigam. Verstehst du jetzt, Klara? Plötzlich schien ihm alles ganz und gar klar. Als hätte er endlich den letzten Schleier über allen

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