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OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Grausamkeiten verüben würden – für sie sei das Christuskreuz das tiefste und wahrste Symbol der barmherzigen Liebe. Klara schloss kurz ihre Augen. Dann hat sie ihren Ärmel zurückgeschoben , fuhr sie fort, und mir das Zeichen gezeigt . Ich sehe es ganz deutlich vor mir, Amos: Es war kein Christuskreuz. Es war ein X, das alte G – die Raubvogelkralle.
    Darauf fiel Amos nicht gleich eine Antwort ein – das Krallen-X und das eckige, wie ein Blitz geformte S wirbelten in seinem Kopf umher. Aber es war sowieso kein günstiger Zeitpunkt, um über irgendetwas in Ruhe nachzudenken: Amos’ ebenbildlicher Ahn begann auf einmal, mit dröhnender Bärenstimme auf die beiden Geistergläubigen einzubrüllen, die vor seinem Sockel knieten. Dazu machte er wedelnde Handbewegungen, und die Männer winkten ihre Träger herbei, die ein paar Schritte abseits am Boden kauerten. Hastig rafften sie die vielerlei Sicheln, Sensen und sonstigen Gerätschaften zusammen, die um den Sockel herum ausgebreitet lagen. Dann stolperte die ganze bäuerliche Gruppe aus dem Tempel und der Priester richtete seinen Blick auf Amos.
    »Mein ebenbildlicher Nachfahr«, sagte er, »und seine gleichfalls von den Geistern auserwählte Gefährtin! Ich bringe euch sogleich zum Hain hinauf. Ihr könnt euch kaum vorstellen, wie sehnsüchtig ihr erwartet werdet. Aber vierhundertundzehn Sonnenjahre sind auch für Geister eine nicht ganz unerhebliche Zeitspanne.«
3
    A
mos’ ebenbildlicher Ahn
sah ganz und gar so aus, wie er selbst in einigen Jahren aussehen würde. Ein junger Mann, sehnig und hochgewachsen, mit lockigen schwarzen Haaren. Ein schmuckes Bärtchen zierte seine Oberlippe, und vom Kinn hing ihm einkleiner Ziegenbart herunter, den Amos allerdings nicht allzu kleidsam fand. Aber viel wichtiger war doch, dass aus diesem jungen Priester nicht nur Geisterstimmen pfiffen und dröhnten. Er besaß eine eigene, durchaus wohltönende Stimme, und die hörte sich ganz ähnlich wie Amos’ Stimme an. Nur nicht mehr ganz so jünglingshaft.
    Amos und Klara wechselten verstohlene Blicke. Der Priester gefiel ihnen beiden schon etwas besser als die Priesterin, die nichts weiter zu sein schien als ein willenloses Gefäß und Werkzeug der Geister.
    Doch das X – das alte G – das magische Krallenzeichen beunruhigte Amos nach wie vor. In Mutter Sophias Ellenbeuge und auf Höttsches Stirn war dieses Geisterzeichen urplötzlich erschienen – gerade in dem Augenblick, als Amos’ und Klaras Eltern umgekommen waren. Das war doch bestimmt keine zufällige Fügung gewesen – so wenig wie ihrer beider Eltern durch bloße Unglücksfälle ums Leben gekommen waren. So viele Zufälle auf einmal konnte es ja gar nicht geben! Die »Priester« im Opus Spiritus hatten also niemanden angestiftet, seine eigenen und Klaras Eltern umzubringen. Aber was sie stattdessen gemacht hatten, war ja anscheinend mindestens genauso schlimm: Sie hatten den Geistern irgendwie die Macht zurückgegeben, Menschen wie Spielfiguren, wie Gefäße und Werkzeuge zu verwenden, sie ihres eigenen Willens zu berauben und notfalls sogar zu töten, wenn ihre Pläne das erforderten. Jedenfalls sah für Amos jetzt alles danach aus. Aber was versprachen sich Trithemius und die anderen »Priester« davon? Vielleicht kannte Faust ja einen überaus mächtigen Zauber, durch den er selbst die gewaltigsten Geister unter seinen Willen zwingen konnte?
    Unterdessen streckte Amos’ ebenbildlicher Ahn seine Beine aus und sprang unbeholfen vom Sockel herab. »Wir gehen hinten aus dem Tempel – das ist der kürzeste Weg.« Er sprach ein wenig verwaschen wie jemand, der gerade aus tiefem Schlaf erwacht ist. Auch seine Gliedmaßen schienen ihm noch nicht wieder rechtgehorchen zu wollen – fast wie betrunken schwankte er ihnen voraus durch den dämmrigen Tempel.
    Amos und Klara folgten ihm an dem Felsspalt im Boden entlang, der sich bis zur Rückwand des Tempelbaus zog. Glut brodelte und Flammen prasselten dort unten und gelbe Dämpfe stiegen aus dem Abgrund empor. Es erinnerte Amos an einen Kupferstich, den er einmal bei Kronus in der Schedel’schen Weltchronik gesehen hatte: Lava wälzte sich wie eine lodernd rote Riesenschlange auf einem Vulkan hinab, der gerade ausgebrochen war.
    Der Priester stieß die Hintertür des Tempels auf und sie traten ins Freie hinaus. Der Felsspalt zog sich hier draußen noch einige Schritte weiter durch den Boden. Doch was dort unten brodelte, war keine Lava. Etliche junge Wächter

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