OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Zauberpriester erleuchten lassen, und mit dem Beistand der Geister würden er und Faust ein Schreckensheidenreich errichten. Und sie beide, Klara und er selbst, konnten nicht mehr das Geringste dagegen tun.
Faust schlang abermals seinen Arm um Amos’ Hals und zerrte ihn zum hohlen Eichbaum hin zurück. »Du musst fliehen, Klara!«, krächzte Amos. »Rette dich und
Das Buch
!«
In hohem Bogen warf er ihr
Das Buch der Geister
zu. Flatternd wie ein verängstigter Vogel flog es über den Abt und Leander hinweg, und Klara fing es wie damals in der Bamberger Bischofsburg auf. Aber diesmal war alles anders. Es gab nur einen einzigen Ausgang und von dem war Klara weiter als alle anderen entfernt. Leander und der Abt hielten sie da hinten in Schach, und selbst wenn sie an ihnen vorbeigekommen wäre – vor dem Durchschlupf im hohlen Baumstamm stand Faust wie ein zweiter Baum und hielt Amos’ Hals umklammert.
Aus und vorbei, dachte Amos. Seine Kehle fühlte sich zerquetscht an. Er bekam kaum noch mit, wie Faust ihn neuerlich zu Boden stieß und Trithemius zu Hilfe eilte.
Im Zickzack rannte Klara in der Felshöhle umher und hielt dabei
Das Buch der Geister
mit beiden Armen an sich gepresst. »Lasst mich, ihr verdammten Kerle!«, schrie sie. Sie versetzte dem Abt einen Tritt und Leander einen Faustschlag, aber es half alles nichts: Sie saß in der Falle. Hinter ihr war nur noch die Felswand und neben ihr eines der Bodenlöcher, in denen ein Feuer brannte. Faust, Trithemius und Leander standen vor ihr wie eine Mauer. Schon streckte Faust seine Hand aus, um Klara
Das Buch
zu entreißen – da stieß sie einen gellenden Schrei aus und ließ sich zu Boden fallen.
Und dann machte Klara etwas ganz und gar Unglaubliches.
Amos schrie auf. Faust brüllte wie ein wütender Stier. Der Abt ächzte, dass es wie das Splittern von Bleiglas klang. Leander stieß gurgelnde Laute aus, wie wenn er seine Stimme aufs Neue verloren hätte. Und ihnen allen war, als ob ihnen eine Hand abgehackt oder ein Auge ausgestochen oder das Herz aus dem Leib gerissen würde.
In all das Schreckensgeheule mischte sich von ferne das Getöse der Soldaten und Bücherjäger, die sich noch immer am Stall vor der Klostermauer zu schaffen machten. Doch diese Geräusche nahm im unterirdischen Felsgelass niemand mehr richtig wahr.
Am wenigsten Amos, der vor Entsetzen meinte, auf der Stelle sterben zu müssen. »Klara, was hast du getan!«, schrie er. »Gütiger Gott, Klara – jetzt war alles umsonst!«
Alles, alles schien ihm in diesem Augenblick vollkommen sinnlos geworden. Alles, was Kronus auf sich genommen hatte und Mutter Sophia und sie selbst.
Klara hatte
Das Buch
ins Feuer geworfen. Sie selbst schien kaum glauben zu können, was sie da Schreckliches gemacht hatte. Wie willenlos ließ sie sich von Faust zur Seite rempeln und sah nur mit großen Augen zu, wie er mit bloßen Händen in das Bodenloch fasste.
Doch das Einzige, was er aus Flammen und Qualm noch hervorscharrenkonnte, war ein unförmiger glühender Klumpen, der ihm zwischen den Fingern zu Asche zerfiel.
Das Buch der Geister
war nicht mehr.
5
V
ielleicht wäre Amos einfach
liegen geblieben, wo er lag, bis Faust oder Cellari gekommen wären und ihn dorthin verschleppt hätten, wo sie ihn nun einmal unbedingt haben wollten – als magische Geisel zurück nach Rogár oder als angeblichen Teufelsjünger in den Inquisitionskerker am Nürnberger Predigerplatz. Aber die zierliche Hand, die er unversehens auf seiner Schulter fühlte, gehörte weder dem furchtbaren Zauberer noch dem genauso gräulichen Ketzerjäger.
Amos hätte sie unter Hunderten Händen herausgespürt.
»Wir müssen fliehen, Amos – komm!« Sie flüsterte es dicht neben seinem Ohr, und dabei fasste sie ihn schon bei der Hand und half ihm, sich aufzurichten. »Verzeih mir, mein Auserwählter.« Er hörte am halb erstickten Klang ihrer Flüsterstimme, dass sie mit den Tränen kämpfte. »Ich wusste mir einfach keinen anderen Rat mehr!«
Er schüttelte nur stumm den Kopf. Wie gern hätte er irgendetwas Tröstendes zu ihr gesagt, doch in ihm war nichts mehr als bleigraue Leere. Ohne recht zu bemerken, was er da eigentlich machte, schlüpfte er hinter Klara in den hohlen Baumstamm.
Sie fing gleich an, auf den schmalen Stufen emporzuklettern, und Amos machte es ihr wiederum nach. »Schnell«, hörte er sie wispern und kletterte rascher. »Leise«, flüsterte sie, und er flog die eingekerbten Stufen empor, fast ohne sie zu
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