OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
dass er nicht wieder unbemerkt das Weite suchen konnte? Ob er
Das Buch der Geister
mitnehmen oder einfach so davonrennen würde – für sie wäre beides unheilvoll.
Amos senkte seine Lider und lauschte in sich hinein. Kronus, geliebter Herr – bitte gebt mir ein Zeichen! Er wartete geraume Zeit und wiederholte dann seine Beschwörung, aber er erhielt keine Antwort. Dabei war es ihm doch eben, gerade als er seine Augen geschlossenhatte, für einen kurzen Moment so vorgekommen, als ob da noch ein dritter Lichtstrom funkeln würde. Nicht nur der dicke goldene Lichtschweif, der ihn mit Klara verknüpfte, und das ärmliche, zitternde Rinnsal, das zu Johannes gehörte. Aber ehe er nachprüfen konnte, ob ihn dieser dritte Strahl vielleicht zu Kronus führen würde, war er wieder erloschen – gerade so, wie es auch Kronus früher immer gemacht hatte, wenn er nicht gestört werden wollte.
Oder hatte sich Amos das vielleicht nur eingebildet? Nein, bestimmt nicht, dachte er – klar und deutlich, wenn auch nur für die Dauer eines halben Wimpernschlags hatte er den dritten Lichtstrahl gesehen. Und vielleicht war es ja wirklich Kronus gewesen und der weise Alte hatte sich gerade in diesem Augenblick vergewissert, dass es Amos wohl erging? Amos wünschte es sich so sehr – dass Kronus am Leben war und dass er zumindest hin und wieder ganz im Stillen seine Hand über ihn hielt.
Als er wieder zum Bärenfell hinüberschaute, ruhte Johannes’ Kopf mit der unverletzten Seite an Klaras Schulter. Seine Augen waren geschlossen und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck kindlichen Glücks.
»
Laurentius wendete seinen Rappen und lenkte ihn behutsam die Böschung hinab.
« Klara war nun fast bis ans Ende der ersten Geschichte gelangt.
»Ohrenbetäubend toste hier unten der Strom in seinem Bett. Felsbrocken so groß wie Kutschkästen wurden von der Flut mitgerissen, an die Ufer geschleudert und aufs Neue fortgewirbelt, wenn sie ins Wasser zurückgekollert kamen.
Auf einem solchen Felsbrocken, der im flacheren Uferwasser lag, entdeckte Laurentius Answer schließlich ein eigenartiges Wesen. Es war kaum länger als sein eigener Arm und von schilfgrüner Farbe. Seine Beine baumelten im Wasser, und auch sein Haar, das aus Schlick und Tang zusammengezwirnt schien, hing in wirren Wellen bis in den Strom hinab.
Laurenz sprang vom Pferd und kauerte sich neben dem Wasserwesen hin. ›Ich bin Laurentius Answer und ich suche das Land meiner Väter‹, sagte er, ›kannst du mir zeigen, wie ich dorthin zurückgelange?‹
Die Augen des grünen Kleinen ähnelten Seerosen. Nachdenklich sah er Laurentius an, ehe er gurgelnd Antwort gab. ›Suchst du das Land deiner Väter, so frag die Frau, die im Brunnen wohnt.‹
«
Klara schloss leise
Das Buch
und rappelte sich auf. Mit einer Hand stützte sie Johannes ab, bis er seitlich auf dem Fell zu liegen kam. Lächelnd ging sie zu Amos herüber, legte
Das Buch der Geister
auf den Tisch und setzte sich ihm gegenüber auf den Stuhl. »Hoffen wir, dass er wieder bei Sinnen ist«, sagte sie, »wenn er in ein paar Stunden aus der Geisterwelt zurückkehrt.«
»Ach, Klara – vergiss doch endlich mal diesen verrückten Kerl.« Amos beugte sich über den Tisch und nahm ihre linke Hand zwischen die seinen. »Viel wichtiger ist doch, was aus uns jetzt werden soll – aus dir und mir und aus dem Buch. Spätestens morgen wird Cellari wieder nach uns suchen – wir brauchen dringend ein sicheres Versteck!«
»Darüber denke ich nach«, gab Klara zurück, »seit ich aus der Bischofsburg in Bamberg geflohen bin. Niemals werde ich den schrecklichen Anblick vergessen, als die Wächter dich überwältigt haben. So etwas darf uns nie mehr passieren.«
»Und wie sollen wir das verhindern? Wenn uns darauf nicht möglichst sofort eine gute Antwort einfällt, geht morgen alles von vorne los.« Amos warf einen weiteren Blick zu Johannes hinüber und dämpfte seine Stimme. »Dann fliehen wir wieder durch den Wald und die Ketzer- und Bücherjäger hetzen hinter uns her. Vielleicht schickt der Zauberer Faust mir ja noch mal eine Vision, aus der wir schließen können, wohin wir
Das Buch
als Nächstes bringen sollen – aber weißt du, Klara, ich bin mir überhaupt nichtmehr sicher, ob wir uns von dieser Bruderschaft noch länger wie Schachfiguren herumschieben lassen sollen.«
»Nicht von der Bruderschaft«, sagte Klara. »Aber was ist mit Kronus und mit Mutter Sophia?«
»Wie meinst du das denn?« Amos war so müde, dass er
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