OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Steintrümmer voran, und die Geröllbrocken ihrerseits kollerten und rollten in Gegenrichtung durch ihn hindurch, da er die nötigen Lücken und Ritzen zwischen seinen Einzelteilen geschaffen hatte. So wie Zugvögel mal in Schwärmen eng beisammen, dann wieder weit zersprengt durch den Himmel ziehen, so fühlte sich auch Laurenz in tausend Teile auseinandergeflogen und wusste doch, dass alles weiterhin wie durch unsichtbare Fäden miteinander verknüpft war.
Schließlich war er durch den Geröllhaufen hindurch. Dahinter kauerten die Crutzmare – mittlerweile mindestens zwei Dutzend – am Boden und schauten ihm sinnend entgegen. Laurenz richtete sich auf – der Gang war hier so hoch, dass er aufrecht stehen konnte. Er machte ein paar taumelnde Schritte, geriet ins Stolpern und fiel hin. Sich durch die Luft statt durch Stein zu bewegen, war ganz einfach schwindelerregend.
»Spute dich, der Berg ist hart«, feuerte ihn ein Crutsmar gleich wieder an.
»Der Weg ist weit, der Vater darbt«, fiel ein zweiter ein.
»Lasst mich nur einen Moment ausruhen«, bat Laurenz. Jetzt erst, nachdem das Ärgste überstanden schien, spürte er so richtig, wie kräftezehrend diese Art der Fortbewegung war. »Von hier aus kann es ja nicht mehr weit sein«, fügte er hinzu, als er wieder ein wenig mehr Luft bekam.
»Ein paar Schritte nur«, antwortete einer der Crutsmare.
»Hinter der nächsten Biegung ist alles wieder zu«, fuhr ein weiterer Winzling fort.
»Bis hinauf zum Ausstieg unter dem Palas.«
Mehr erschrocken als erbost sah Laurentius von einem Crutsmar zum anderen. »Der ganze restliche Gang ist verschüttet? Warum sagt ihr das erst jetzt?«
»Erst jetzt?«, fragte ein Crutsmar zurück. »Spute dich, der Berg ist hart – das rufen wir dir unaufhörlich zu.«
Verwirrt wandte Laurenz den Blick ab. Der Geheimgang verlief unter dem ganzen lang gestreckten Hügel hindurch bis unter den vorderen Burghof. Ein nahezu senkrechter Schacht führte dort zum Kellergewölbe unter dem Wohnturm empor. Ohne Strick und Leiter da hinaufzusteigen war selbst unter günstigen Umständen mühevoll und gefährlich. Aber das spielte jetzt anscheinend sowieso keine Rolle mehr – diese ganze Strecke durch Steinbrocken und Geröll zurückzulegen, wäre weit mehr, als er sich zutrauen durfte.
»Geh hier hinauf, dann bist du gleich am Ziel.« Der Crutsmar, der ihm diesen Ratschlag gab, hob ein zweigdünnes Ärmchen und deutete geradewegs zur Decke.
Laurenz schaute nach oben. »Aber das ist massiver Fels.« Im grünen Glühlicht sah man sogar noch die Spuren von Hacke und Hammer, mit denen der Gang einst mühsam in den Stein gehauen worden war.
»Hundert Fuß reines Gestein«, bestätigte ein weiterer Crutsmar. »Und gerade darüber das Verlies, in dem der Vater darbt.«
Laurentius rappelte sich auf. Er ging weiter den Gang entlang und kehrte nach einem halben Dutzend Schritten wieder um. Hinter der Biegung war tatsächlich alles aufs Neue verschüttet. »Glaubt ihr denn, dass ich das schaffen kann? Hundert Fuß aufwärts durch den Fels?«
»Gestein ist wie Käse«, munterten ihn die Crutsmare auf. »Voller Löcher und Poren, voller Spalten und Risse – man schwimmt und fliegt, man schießt und fließt nur so hindurch. Du wirst schon sehen!«
Laurenz legte seinen Kopf in den Nacken, hob die Hände und drückte die Fingerspitzen sachte gegen das Gestein. Ich bin die Welle, die sich bricht, dachte er, die zu Tropfen und Gischt zerspritzt und doch wieder Welle wird. Er spürte, wie seine Hände in den Felsen fuhren, und schob behutsam Kopf und Arme hinterher. Mein Wille ist die Kraft, sagte sich Laurentius, die alles zusammenhält, auch wenn mir meine Einzelteile zwischenzeitlich um die Ohren fliegen. Da steckte er bereits vom Gürtel aufwärts im Fels und zog sich mit kraftvollen Schwimmbewegungen seiner Arme ins Gestein hinein.
Die Crutsmare glitten und rannen hinter ihm her und hatten ihn bald schon zu seiner Linken wie zur Rechten überholt. Sie leuchteten ihm den Weg, und durch hunderterlei Poren und Spalten im Stein sah Laurenz ihr grünliches Glühlicht und flog und schwamm und strömte hinter ihnen her. Felsen war zäher und dichter als die locker aufgetürmten Trümmer, die er vorhin durchronnen hatte. Aber dafür zogen sich die vielerlei Poren und haarfeinen Risse viel gleichmäßiger durch das Berggestein, und so kam er letztlich doch rascher und leichter voran.
Dennoch war Laurentius am Ende seiner Kräfte, als ihm schließlich
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