OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Armbrust und Morgenstern zu zerschmettern und mit ihrem eigenen Blut aus Burg Answer herauszuschwemmen – als den Haufen Unrat, der sie tatsächlich und lediglich sind!«
Der Vater keuchte und seine Augen flammten fast wie früher. Wäre er nicht mit Hals und Händen an die Wand gekettet gewesen – Laurenz hätte sich nicht gewundert, wenn der Vater aufgesprungen und mit wütenden Schritten auf und ab gestampft wäre wie in alten Zeiten, wenn er wegen irgendeines kleinen Vergehens seiner Männer oder seiner Kinder erbost war. So aber konnte er nur die dünn gewordenen Arme ein wenig auf- und abschwenken, sodass seine Ketten misstönend klirrten.
»Was aber erkühnst du dich, Sohn, mir stattdessen zu raten?«, empörte er sich weiter, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. »Wie ein Wurm, so gekrümmt und zuckend, soll ich mich aus diesem Loch davonschleichen – ich, der einzig rechtmäßige Herr über Answer? Hinfort mit dir, wenn das dein ganzer Plan ist – dann krieche nur zu deinen Crutsmaren in den Dreck zurück und überlasse deinen Vater getrost der Grausamkeit und Niedertracht unserer Feinde.«
Laurentius senkte aufs Neue seinen Kopf. Hart und bitter hatte der Vater über ihn geurteilt, aber er konnte es ihm nicht verdenken. Stolz war schließlich das Einzige, was dem Vater geblieben war. »Wer sind sie denn eigentlich, unsere Feinde«,fragte er, »und was suchen sie gerade hier, in unserem Besitztum?«
»Gesindel aus den Wäldern«, stieß der Vater hervor, »mehr Raubtiere als ritterliche Christenmenschen – da hast du deine Widersacher!«
Er hatte es kaum gesagt, als sich im Gang vor der Verliestür Schritte näherten. Ein Schlüsselring klirrte, jemand summte eine schwermütige Melodie – der Stimme nach ein noch junger Mann.
»Der Wärter kommt«, zischte der Vater, »nun verkriech dich, mein Befreier!«
Die väterlichen Hohnworte bekümmerten Laurenz sehr, doch er beeilte sich, zu gehorchen. Ich bin die Welle, die sich bricht, dachte er und verbarg sich in der Wand, vor der sein Vater angekettet saß. Sie bestand aus massivem Felsgestein, denn die untersten Gewölbe von Burg Answer waren teilweise in den Burghügel hineingebaut worden – oder aus ihm herausgemeißelt, je nachdem. Nur eben einen Schritt tief im Gestein, wandte sich Laurenz wieder um und erkannte erfreut, dass er durch die vielerlei Risse und Poren im Fels hindurchsehen konnte wie durch ein trübes Fenster.
Im nächsten Moment quietschte das Türschloss, die Verliestür flog auf – und auf der Schwelle erschien ein Jüngling, der ganz und gar wie Laurenz selbst aussah.
Durch zwei Fuß Fels hindurch starrte Laurenz ihn an wie ein Nachtgespenst. Er vergaß, zu atmen und glücklicherweise auch zu schreien, obwohl ihm der Schrei schon hoch oben in der Kehle saß. Dieser junge Mann, der da vor seinen Augen in die Zelle seines Vaters trat, glich ihm wirklich bis aufs Haar. Er stellte dem Vater einen Holznapf mit wasserdünner Suppe hin, war einen Augenblick später wieder draußen und verriegelte die Tür. Schon hörte Laurenz ihn wieder die düstere Tonfolge summen, während seine Schritte sich entfernten.
Mein Wille ist die Kraft, die alles zusammenhält, dachte Laurenz und wühlte und wand sich wieder aus der Wand hervor. »Dieser Jüngling, Vater«, rief er aus, während er noch mit einer Hacke im Felsen steckte, »warum sieht er mir so ähnlich wie ein Zwilling – ja, wie mein eigenes Spiegelbild?«
»Ähnlich?« Der Vater hob mit zitternden Händen den Holznapf und schlürfte die Wassersuppe in sich hinein. »Was redest du da – dieser Kerl ist wie ein wildes Tier! Hast du nicht seine Augen gesehen? Das sind keine Menschenaugen, Laurenz – es sind Wolfslichter, gelb und mitleidlos.«
Laurentius war jetzt vollkommen durcheinander. Er versuchte, sich zu erinnern, wie die Augen des anderen ausgesehen hatten – ja, der Vater hatte wohl recht, was ihre Form und Farbe betraf. Und doch war er niemals vorher einem Menschen begegnet, der ihm selbst so sehr gleichgesehen hätte.
Der Vater hatte unterdessen sein dürftiges Mahl beendet. Der Holznapf glitt ihm aus den Händen und fiel polternd zu Boden, doch der Vater zuckte nicht einmal zusammen. Seine Augen waren zugefallen. Das Kinn war ihm auf die Brust gesunken, aus seinem Mund drang leises Schnarchen.
»Ich komme wieder, Vater – bald schon«, murmelte Laurenz und ging aufs Neue in den Fels hinein.
Mit bereits recht geübten Bewegungen schwamm und rann und glitt und
Weitere Kostenlose Bücher