OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
als sein eigener Stern, doch viel kleiner und blasser als Klaras strahlendes Gestirn – so bewegte sich mit Egberts Schar ein weiterer blinkender Lichtquell über Hannes’ inneren Himmel. Er hatte einige Zeit darüber gegrübelt und war schließlich zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich um jenen stummen Jungen namens Leander handeln müsse, der Klara ein wenig ähnelte. Grüne Augen, blonde Haare – diese Zusammenstellung bekam man hierzulande nicht allzu oft zu sehen. Wann und auswelchem Grund Klara auch in Leander magische Kräfte erweckt haben sollte, konnte sich Hannes allerdings nicht recht erklären. Aber er war sich sicher, dass es nicht etwa Amos von Hohenstein war, den er da als blinkenden kleinen Stern ihnen voraus gen Osten schweben sah.
Auch Amos’ mächtig großes Gestirn hatte sich schon meilenweit von Egbert und seinen Leuten entfernt, noch sehr viel weiter als Klara und in einer wiederum ganz anderen Richtung: Er bewegte sich gen Westen und musste bereits in der Nähe von Bamberg sein, wenn nicht sogar schon über die Bischofsstadt hinaus. Wohin nur zog es ihn? Und aus welchem Grund hatten er und Klara sich getrennt?
Die Antwort auf diese letztere Frage lag für Hannes offen zutage, auch wenn er kaum daran zu denken wagte. Sein Herz begann dann jedes Mal, fast schmerzhaft in seiner Brust zu pochen – vor Hoffnung, Sehnsucht, vorausgeahntem Glück. Klara liebte ihn, Hannes Mergelin – nur darum hatte sie sich von Amos getrennt und eilte nun geradewegs nach Nürnberg, wo Hannes in den Kerker geworfen werden sollte. Sie würde versuchen, ihn aus der Gewalt der Inquisitoren zu befreien! Und er würde sich ihrer Liebe würdig erweisen, indem er im Kerker unter dem Liebfrauenplatz nach Valentin Kronus Ausschau hielt. Nach dem weisen Dichter und Schriftgelehrten, den Hannes nun so sehr verehrte, wie er bis vor Kurzem noch den Unterzensor Skythis angeschwärmt hatte.
Schließlich hatte er selbst noch mit dreizehn, vierzehn Jahren davon geträumt, einmal ein berühmter Poet zu werden, der mit seiner Dichtkunst die Herzen der Menschen verzaubern würde. Daraus war allerdings nichts geworden, und so hatte er seinen Lebenstraum unter einer klafterdicken Schicht aus Zorn und Groll begraben. Wenn es ihm selbst schon nicht vergönnt sein sollte, die hohe Kunst der Poesie und Schriftgelehrsamkeit zu erlernen – dann sollten gefälligst auch keinerlei erdichtete Werke aus der Feder anderer Poeten das Licht der Welt erblicken! Ja, erhatte sogar begonnen, die Einbildungskraft selbst zu hassen und zu bekämpfen, weil sie ihn dazu verleitet hatte, sich in unerfüllbaren Wunschträumen zu verlieren.
Doch seit Klara ihm aus dem
Buch der Geister
vorgelesen hatte, war alles anders. Seither kam es Hannes vor, als ob ein Bann von ihm abgefallen wäre. Als ob er gerade dadurch, dass er sich das Träumen verboten hätte, jahrelang in einem grässlichen Albtraum gelebt hätte – als Gehilfe des Unterzensors Skythis, dieses krankhaften Fantasie- und Bücherhassers, dessen schauerliche Schaufelhände Hannes auch in ihren vertrautesten Stunden niemals hatte betrachten können, ohne ein leises Grauen zu verspüren. Aber damit war es nun vorbei. Er war endlich aus dem Albtraum erwacht – und in der neuen, süßen Wirklichkeit, in der er sich wiedergefunden hatte, liebte er Klara. So wie offenbar auch sie nicht mehr ohne ihn leben mochte und so wie schließlich auch Lucinda den Ritter Laurentius liebte – und nicht irgendeinen Narren aus ihrem höfischen Gefolge.
Verwundert sann Hannes diesem Gedanken hinterher. Nun gut, er wollte natürlich nicht geradeheraus behaupten, dass Amos von Hohenstein ein bloßer Narr sei. Aber Ritter Laurentius war ein Poet, der für seine Lucinda kunstvolle Liebesverse gedichtet hatte, und auch wenn Hannes in letzter Zeit ein wenig irregeleitet worden war, so war er selbst in seinem tiefsten Herzen doch gleichfalls ein Dichter. Amos dagegen hatte Klara lediglich mit seiner adligen Herkunft und vielleicht auch noch mit seinem schwarzen Lockenschopf für kurze Zeit blenden können. Doch dann war er, Hannes, aufgetaucht, der Junge mit der dichterischen Seele – und da hatte Klara natürlich gleich gemerkt, dass eigentlich sie beide zusammengehörten.
Die Sonne sank bereits wieder hinter ihnen dem Horizont entgegen, als der Trupp der Purpurkrieger unvermittelt anhielt. Der Offizier hob eine Hand und gebot seinen Soldaten, aus dem Sattel zu steigen – so als ob sie die Fährte auf einmal
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