OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
ausgemergelten Leib.
2
A
ls Hannes wieder
zu sich kam, lag er der Länge nach auf dem zerstampften Boden vor der Dornenhecke. Das war entschieden bequemer, als zum Halbmond gebogen auf dem Maultierrücken zu schaukeln, aber der Gestank des Katzenbann-Suds war hier unten kaum zu ertragen. Beinahe wäre er aufs Neue in Ohnmacht gefallen, doch er atmete verstohlen durch seinen Mund und schaffte es auf diese Weise, bei Sinnen zu bleiben.
»Also meinetwegen«, sagte der junge Dominikaner. »Reiten wir eben um dieses Heidending herum – aber nur, weil es dir an Gottvertrauen fehlt!« Er trat so nah vor den Offizier, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. »Glaube bloß nicht, Elias«, fuhr Meinolffort, »dass mich deine kleinmütigen Befürchtungen überzeugt hätten.«
Er stieß dem Offizier seinen Zeigefinger gegen die Brust und wandte sich abrupt um. Dabei fiel sein Blick auf Hannes und für einen winzigen Moment blitzten Meinolfs wasserhelle Augen auf und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln stiller Verzückung. »Gott ist mit uns«, sagte er so versonnen, als ob sich diese fromme Formel schon nicht mehr auf seinen Disput mit dem Kirchenoffizier beziehen würde. »Was wir auch beginnen, Er schützt und stützt uns, solange wir nur für Seinen Ruhm und Seine Ehre kämpfen.«
Abermals befahl Elias seinen Männern, aufzusitzen, und diesmal ließ es der Dominikaner mit einem zerstreuten Kopfnicken zu. Meinolf will seinen Zorn und seinen Rachedurst an mir stillen, durchfuhr es Hannes, an meinen Schmerzen, meiner Angst. Aber du wirst dich wundern, kleiner Dominikaner – ich habe keine Angst mehr vor dir.
Es klang auch für ihn selbst nicht ganz so überzeugend, wie er sich das gewünscht hätte. Aber er war entschlossen, sich kein Sterbenswörtchen von dem entlocken zu lassen, was er über Klaras und Amos’ Pläne wusste. Das war sowieso nicht besonders viel – doch immerhin wusste er, dass beide sich schon vor vielen Stunden von Egbert und seinen Leuten getrennt hatten. Dagegen schienen Meinolf und Elias nach wie vor fest davon überzeugt, dass sie die fliehende Schar nur einholen müssten, um Amos und Klara in ihre Gewalt zu bekommen – und damit auch das Geisterbuch. Und das erklärte natürlich auch, warum Egbert es zugelassen hatte, dass sie ihn und seine Leute bis zu diesem Dornenwall verfolgen konnten.
Bruder Egbert hatte die Purpurkrieger absichtlich hierher gelockt, um sie von Klaras und Amos’ Spur abzulenken. Klara musste mittlerweile fast schon in Nürnberg sein, und Amos hatte Bamberg bestimmt längst wieder hinter sich gelassen. Wohin auch immer er unterwegs war,
Das Buch der Geister
war jedenfallsbei ihm, auch das spürte Hannes ganz genau. Durch alle wundersamen Wandlungen hindurch, die in letzter Zeit mit ihm vorgegangen waren, hatte er sich diese Fähigkeit bewahrt: Noch immer konnte er über große Entfernungen hinweg erspüren, wo sich
Das Buch
gerade befand. Aber auch dieses Geheimnis, von dem außer ihm selbst nur der Unterzensor Skythis wusste, würde Hannes dem Dominikaner möglichst nicht offenbaren.
Höchstwahrscheinlich war er nur ein paar Minuten lang ohnmächtig gewesen. Doch dieser kurze, tiefe Schlaf hatte seine Lebenskräfte ein wenig aufgefrischt. Sein Verstand arbeitete so klar wie seit Langem nicht mehr, wenngleich in seinem Innern weiterhin die Sturmflut der aufgewühlten Gefühle toste. Wann immer er an Klara dachte, hätte er am liebsten gesungen und gejubelt vor unbändigem Entzücken. Dann wieder, wenn ihm seine Eltern in den Sinn kamen und er selbst, wie er als kleiner Knabe gewesen war, so vertrauensvoll und herzensfroh – dann begann es, Hannes in der Kehle zu brennen, und er musste heftig mit den Augen blinzeln, die sich wie von selbst mit Tränen füllen wollten.
Wie hatte er nur so sehr aus seiner vorbestimmten Bahn geraten können, dass er gleichsam sich selbst zum Feind geworden war!
Aber es war der schlechteste Moment, um sich derlei gefühlvollen Betrachtungen hinzugeben: Zwei Purpurkrieger packten ihn bei Armen und Füßen und warfen ihn aufs Neue wie einen Lumpensack über den Rücken seines Mulis. Wiederum wurde er unter dem Bauch des Maultiers an Händen und Füßen zusammengebunden. In den Augenwinkeln sah Hannes, wie sich eine dunkel gewandete Gestalt von ihrem Sattel aus zu ihm herüberbeugte und eine helle, schmale Hand nach dem Zügel seines Mulis fasste.
»Siehst du, Mergelin«, sagte Meinolf, »wie eine Mutter auf ihr Wickelkind, so passe ich
Weitere Kostenlose Bücher