OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
verloren hätten. Warum aber stimmten dann die Bluthunde ein ohrenbetäubendesGeheul an und zerrten so wild an ihren Ketten, dass sie sich beinahe selbst zu Tode würgten? Kopfüber von seinem Muli herunterhängend, verdrehte sich Hannes den Nacken, um herauszubekommen, was das alles zu bedeuten hatte. Schließlich trat einer der Purpurkrieger zur Seite, sodass Hannes einen Blick auf das Hindernis erhaschen konnte, das ihren plötzlichen Halt erzwungen hatte. Und vor dem sich die Bluthunde unverändert wie toll gebärdeten – sie bäumten sich auf, heulten in höllischem Chor und ihre weit hervorgequollenen Augen waren so rot unterlaufen, als ob im nächsten Moment das Blut aus ihnen hervorspritzen würde.
Dabei war vor ihnen nichts besonders Auffälliges zu erblicken – lediglich eine Dornenhecke, die sich allerdings unabsehbar weit nach links und rechts erstreckte. Sie war wenigstens fünfzehn Fuß hoch und machte den Eindruck, als ob sie mindestens genauso dick wäre – ein wahres Gemäuer aus ineinander verflochtenen Strünken und Ästen, die mit nagelspitzen Dornen gespickt waren.
»Der berüchtigte Creußener Heidenwall«, sagte der Offizier mit dem unauslöschlichen Lächeln. Er klang beunruhigt, und als seine Untergebenen ihn verständnislos ansahen, stampfte er sogar mit dem Fuß auf. »Bringt die verfluchten Hunde zum Schweigen!«, schrie er die Soldaten an.
So unbeherrscht hatte Hannes ihn noch nie erlebt. Die Purpurkrieger bemühten sich, die Bluthunde zu beruhigen, aber die heulten weiter markerschütternd und bäumten sich vor der Dornenhecke auf, als ob unmittelbar davor ein unsichtbares zweites Hindernis aufragen würde.
»Heidenwall oder Heidenburg – so nannte man solche künstlich angelegten Dornenhecken in früherer Zeit«, erklärte der Offizier nun in gereiztem Tonfall. »Um sie zu überwinden, hilft eigentlich nur eines – Feuer. Aber dieses Gestrüpp können wir nicht so einfach abfackeln.«
»Warum nicht, Herr Leutnant?«, fragte einer der Purpurkrieger.
»Weil es sich bis eine halbe Meile vor Creußen erstreckt – und der Wind bläst geradewegs auf die Stadtmauern zu. Wenn wir die Hecke anstecken, brennt kurz darauf ganz Creußen lichterloh.«
Die Soldaten kratzten sich die Köpfe unter den silberfarbenen Helmen. »Aber irgendwie müssen sie hier durchgekommen sein«, gab ein anderer von ihnen zu bedenken.
»Ihr seht es ja selbst«, pflichtete ihm der Nächste bei, »ihre Spuren fächern sich gerade hier vor dem Dornenwall auf – ganz so, als ob sie einen Durchgang gesucht hätten.«
»Dann findet diese Höllenpforte«, knurrte der Offizier.
Seine Untergebenen machten sich auf die Suche. Eine Weile lang sah ihnen Hannes zu, wie sie ziellos vor der Hecke auf und ab liefen, an Ästen zerrten und die Dornen lautstark verfluchten. Einer von ihnen zückte sein Kurzschwert und begann auf das Astwerk einzuschlagen. Aber er ließ es gleich wieder sein – das Heckenholz war hart wie Eisen. Ein anderer Soldat versuchte, seinen Bluthund in die Hecke hineinzuzerren, doch das riesenhafte Tier winselte nur kläglich und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Zug der Kette, bis auch dieser Purpurkrieger sein Vorhaben aufgab.
Von dem Dornenwall wehte ein seltsam vertrauter, dabei keineswegs angenehmer Geruch zu Hannes herüber. Er blähte die Nüstern und sog die Luft ein – und mit einem Schlag wurde ihm klar, warum sich die Hunde plötzlich wie tollwütig aufführten. Offenbar hatten Egbert und seine Begleiter vor dem Dornenwall einen Pflanzensud ausgeschüttet, der den Geruchssinn der Bluthunde verwirrte. Hannes sah mit einem Mal sogar die Blumen vor sich, deren Blüten und Stängel man zu einer solchen Brühe verkochen konnte. Seine Mutter hatte diese Pflanzen immer nur »Katzenbann« genannt – niedrig wachsende Blumen mit blauen Blüten, die einen widerwärtigen Geruch verströmten. Verkochte man einige Hände voll Katzenbann zu einem Sud, so brauchte man nur ein paar Tropfen davon zu versprühen, um Katzen, Hunde und alle anderen Tiere mit empfindlichen Nasen fernzuhalten.
Wie seltsam, dachte Hannes, dass diese Erinnerung aus fernen Kindheitsjahren gerade jetzt wieder in ihm aufstieg. Aber sein Inneres war ohnehin aufgewühlt wie ein Ozean bei Sturmflut, seit die Gabe der Gefühlsmagie in ihm wach geworden war. Erinnerungen bestürmten ihn seither unaufhörlich – schmerzliche, süße, peinliche Erinnerungen. An Mutter und Vater, an seine Brüder August und Franz, an Senna, die
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