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Orangenmond

Orangenmond

Titel: Orangenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Raum fast verlor. Über ihm hing ein großes Gemälde, blauer Himmel, rosa Wolken, eine Künstlerin hatte es extra für Milena gemalt. Emils Gesicht wurde vom Schein des Fernsehers erhellt. Er war wirklich hübsch, kein Wunder, dass manche Leute ihn für ein Mädchen hielten.
    »Geht mein Papa weg?« Bitte, da war es wieder: Für Emil war sie nur die, die alle paar Wochen mal vorbeikam, wenn Georg wegmusste. Nicht die tolle Eva oder wenigstens seine coole Tante. Sie konnte mit Kindern nicht besonders gut umgehen. Und mit Millis Kind erst recht nicht.
    »Nein, davon hat er nichts gesagt.« Mein Papa. Unfassbar, was Georg ihr soeben auf der Terrasse erzählt hatte. Aber natürlich war Georg Emils Papa, er hatte ihn Milena am Set hinterhergetragen, ihn ihr alle drei Stunden zum Stillen gebracht, ihn gewickelt, getröstet und in den ersten Wochen nachts, wenn er mal weinte, seine Runden mit ihm im eigenen Hotelzimmer gedreht, damit Milena nebenan ungestört schlafen konnte. Er reiste mit Emil von Drehort zu Drehort, und als er größer wurde und in den Kindergarten kam, schaffte Georg sich als Food-Stylist ein neues Standbein. Er konnte von zu Hause aus viel vorbereiten, doch sein Job als Vater ging immer vor.
    Emil schaute auf den Bildschirm und verzog den Mund zu seinem verhaltenen Buddha-Lächeln. Er hatte nicht nur Milenas Haare geerbt, sondern auch die großen grünen Augen, die ihre Mutter leider nur an ihre jüngste Tochter weitergegeben hatte. Eva dachte nach. Woher kamen eigentlich ihre eigenen hellbraunen Augen? Von ihrem Vater jedenfalls nicht. War sie vielleicht auch ein Kuckuckskind? Mensch, Georg, da hast du was angerichtet, dachte sie wieder. Deine vereitelte Samenspende bringt uns alle völlig durcheinander.
    Emil war von Anfang an ein sehr süßes, in sich ruhendes Baby gewesen. Selbst wenn er einmal Bauchschmerzen hatte, ließ er sich recht schnell wieder beruhigen. Nicht, dass sie es ihrer Schwester missgönnt hätte, aber auffällig war es doch gewesen: Milena hatte selbstverständlich kein hässliches Kind mit verformtem Kopf, platter Nase oder wenigstens Baby-Akne hervorgebracht.
    Emil war immer noch süß, was sie ihm gegenüber natür lich niemals erwähnen durfte. Er war sehr ernsthaft und interessierte sich für Sachen, die einen Zehnjährigen normalerweise nicht interessieren. Meditation. Kalligrafie. Die Mongolei. Pizza backen. Wie kam er auf diese Dinge? Außerdem quälte er sich jeden Dienstag und jeden Freitag zum Fußballtraining beim SV Uhlenhorst-Adler. Als Torwart. Vielleicht nicht die einzige Sache, die er nur Georg zuliebe tat?
    Er war erst fünf gewesen, als Milena starb. Fünf glückliche Jahre, heile Jahre, so hatte Georg sie genannt. Eva seufzte, ohne es zu merken. Und nun kam heraus, dass er nicht Emils biologischer Vater war. Was hatte Milena da bloß geritten? Na ja, oder wen? Schluss damit, dies war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt für blöde Wortspiele.
    Sie starrte noch ein paar Minuten auf die depressiv wirkenden japanischen Comicfiguren mit den toten Augen, die über den Bildschirm rannten, und stand dann auf, um nach Georg zu sehen.
    Sie traf ihn in der Küche.
    »Hab’s gefunden!«, sagte er, als sie näher kam, und breitete mehrere zusammengeheftete Zettel auf dem Tisch aus. Sie wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, ließ sie kurz darüber schweben, zog sie dann doch wieder zurück.
    »›Die Mandeldiebin‹, hier ist sie!« Georg gab ihr ein geheftetes Büchlein. Stabliste , las Eva.
    »Das war eine deutsch-italienische Co-Produktion. Da sind die Namen von denen drin, die dabei waren. Vom kleinen Praktikanten und Fahrer über die Beleuchterriege, Regisseur, Ausstattung, Maske, Ton bis zum Produktionsleiter! Alle!«
    »Gut.«
    »Ach komm, Eva, du tust nur so, als ob du nicht verstehst, oder?«
    »Klar verstehe ich. Du willst jetzt möglichst schnell herausfinden, mit wem von all den Praktikanten, Beleuchtern und Schauspielern sie geschlafen hat.«
    »Der Cast hat eine andere Liste, die ist hier!« Triumphierend warf Georg das Heft auf den Tisch und wischte sich dann die Finger an seiner Jeans ab. »Bisschen dreckig, hat da unten im Sammelordner viele Jahre auf dem Regal gestanden.«
    »Viele Jahre, Georg. Das ist das Stichwort. Das ist doch echter Wahnsinn, was du vorhast.«
    »Und du wirst mir dabei helfen!«
    »Ich?!« Ihre Stimme klang ungewohnt schrill. »Vergiss es!«
    Georg blätterte ungerührt in den Listen: »Hier, Anna Savinni, ihre

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