Orangenmond
vorstellte.
»Wie geht es deinem Vater? Es tut mir so leid!«
Katia erzählte, was Eva schon von Tommaso erfahren hatte. Mimmo saß zu Hause, unfähig, mehr als den rechten Arm zu bewegen. Er wollte niemanden sehen.
»Bitte kommt nicht vorbei! Er wird sonst böse und schimpft! Wir können ihn zwar kaum verstehen, aber dennoch.« Sie drückte Evas Arm so fest, dass es wehtat.
»Sag mir nur, wie viel Geld ihr für den Strom bekommt.« Katia kritzelte ihr eine Bankverbindung auf einen Zettel und versprach, ihr die genaue Summe per SMS zu schicken. »Deine Nummer habe ich ja.« Sie verabschiedeten sich schnell. Pietro trottete an Katias Seite davon wie ein lustloses Kind auf dem Sonntagsspaziergang.
Weil sie nicht wusste, wo sie sonst hingehen sollte, schlenderte Eva den Weg zur Kathedrale hinauf. Sie kaufte sich ein Stück focaccia, die ihr aus einem kleinen Pizzaladen schon von Weitem entgegenduftete, und biss herzhaft hinein. Großartig! Tomatig, ein bisschen ölig, mit drei schwar zen Oliven, grobem Salz und Oregano, besser als die Apulier bekam das keiner hin! Eva wischte sich Finger und Mund an der Serviette ab. So ein Rezept müsste Georg mal auftun, eines, das auch zu Hause im windigen Hamburg funktionierte. Aber irgendwie hatten die Italiener anderes Mehl und wahrscheinlich auch bessere Hefe, das konnte in Deutschland nur schiefgehen.
Kurz vor der Kathedrale bog sie rechts in eine der Gassen ab. Vicolo irgendwas, die Schrift war zu verwittert, um sie entziffern zu können. Sie ging unter einem Bogen hindurch, dann öffnete das Gässchen sich wieder. Ein paar Meter weiter sah sie erneut einen mit Kleister an einer Mauer festgepappten Zettel vom Bed&Breakfast Mamma Isa . Diesmal mit einem kleinen Pfeil nach links, die Gasse hoch. Sie folgte ihm, es war ein Spiel. Was würde sie tun, wenn sie es tatsächlich fand? Sich als Gast ausgeben? Sagen, dass Mann und Kind noch einen Parkplatz suchten? Oder einfach nur nach Elio fragen?
Eher durch Zufall entdeckte sie das Schild an einem Balkon. B&B Mamma Isa, unauffällig und klein.
Halb zwölf am Sonntag, keine gute Zeit, um in Italien zu stören, aber eine Pension durfte sich darüber nicht beklagen. Sie klingelte. Der Summer ging, sie stieg die Treppen hoch bis in den dritten Stock. Eine zierliche alte Frau mit weißer Haarkrone wie frisch vom Friseur stand schon auf dem Treppenabsatz. Ihr knallblauer Lidschatten unter den hochgewölbten Augenbrauen fiel Eva sofort auf. Hübsch, aber ungewöhnlich für eine sicher über Siebzigjährige.
» Buon giorno«, sagte sie und lächelte. »Sind Sie die Engländerin, die kommen wollte?«
» No , ich bin die Deutsche, die gar nicht angemeldet war«, erklärte Eva auf Italienisch.
»Ah, aaah!« Ihre Augen schauten Eva neugierig von oben bis unten an. Eva gab ihr die Hand, einfach, weil sie so nett aussah. »Ich hoffe, ich störe nicht allzu sehr!«
»Auf keinen Fall, ich freue mich immer, wenn jemand kommt.« Die Frau drehte sich auf dem Absatz zwischen den zwei offen stehenden Wohnungstüren, der zu einem kleinen Empfang ausgebaut war. Ein Kühlschrank, ein schmales Regal mit Büchern, eine Pinnwand mit dem Inter netcode und den handschriftlichen Hausregeln. Dear guest! Liebe Gäesten!
Ein Foto an der Wand zog ihren Blick auf sich. Eva erkannte ihn sofort: die hellen Augen, der weiche, etwas weinerliche Mund. Elio als kleiner Junge mit dem, was auch bei Emil auf manchen Kinderfotos durchschimmerte. War es die Kopfform? Oder der Abstand der Augen? Unsichtbar, wenn man nicht wusste, wonach man suchte, doch ohne jeden Zweifel erkennbar, wenn man dieses Foto sah.
Sie würde Georg den Vater präsentieren, den schönsten, den erfolgreichsten, den besten von allen potenziellen Vätern, der, der am meisten wehtat. Das hatte er nun von seiner Reise und davon, dass er sie … Selber schuld. Sie schob den Gedanken beiseite und lachte, doch es klang in ihren Ohren wie das Lachen einer bösen Fee: »Das ist ja Elio, wie süß! Wie alt ist er da?«
»Vier.«
»Ich bin Milenas Schwester.«
»Aahh!«
»Sie hat mit Ihrem Sohn in dem Film ›Die Mandeldiebin‹ gespielt. La Ladra delle Mandorle. «
»Jaa, den habe ich gesehen! Das war doch die Geschichte mit dieser Magd …«
»Genau, die nach ihrem Tod ein ganzes Dorf hochgehen lässt.« War »saltare in aria« richtig? Hieß das nicht eher in die Luft sprengen? Aber Isa schien zu verstehen.
»Es ist schon lange her, dass ich den Film gesehen habe, der Elio dreht ja so
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