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Orangenmond

Orangenmond

Titel: Orangenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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viel!«
    Sie lächelten sich gegenseitig an.
    »Und Sie brauchen gar kein Zimmer?«
    »Nein, ich bin zu Besuch hier, wir haben einen Trullo, draußen auf dem Land.«
    »Kommen Sie, kommen Sie, heute ist nicht so viel los, Zeit für einen Kaffee haben Sie doch?« Sie nahm Evas Hand und zog sie hinter die linke Wohnungstür. Ich werde in letzter Zeit kaum mehr um meine Meinung gefragt, dachte Eva, nur hin und her geschoben, doch sie ließ sich willig mitziehen. Irgendwas an Isa gefiel ihr sehr.
    »Mein Elio ist so ein guter Sohn, immer kommen Leute. Ich habe eine Putzfrau für die drei Zimmer nebenan, und mein ältester Neffe kümmert sich um die Pläne, wann die Zimmer besetzt sind und diese Sachen. Das bekomme ich ja gar nicht hin, manchmal ist es ein Durcheinander, aber Matteo sagt mir immer Bescheid, wie viele Gäste bei mir morgens zum Frühstück sind. Und ich muss jetzt Englisch lernen, schauen Sie, dieses Buch haben mir meine Gäste mitgebracht!«
    Sie hielt Eva ein kleines dickes Buch mit vielen Bildern vor das Gesicht. »Hier ist alles drin. Wenn ich etwas suche, schaue ich nach den Bildern! Breakfast . Frühstück. Und hier eine Birne, a pear! So lerne ich.«
    Mamma Isa führte sie in einen Salon, der fast ein Saal war. Dort stand ein großer Flügel, von dem Eva sich fragte, wie er wohl durch das Treppenhaus heraufgekommen war. Es lagen auch noch andere Musikinstrumente herum, eine Gitarre, ein Akkordeon, eine Oboe. Eine Geige hing zwischen unzähligen gerahmten Fotos an der Wand. Darauf: Elio, der einzige Sohn. Neugierig ging sie näher heran. Elio mit dicker Windelhose und Schnuller, im feinen Anzug mit einer Erstkommunionskerze in der Hand. Vor dem Weihnachtsbaum, mit Zahnlücke, bei der Taufe, über bunten Geburtstagstorten, auf Plastikrädchen und dann als Teenie, mit komischen Haaren und zu enger Lederjacke. Auf eines war Verlass: In der Pubertät sahen selbst attraktive Menschen furchtbar aus. Eva drehte sich lächelnd zu Isa um.
    »Schöne Fotos und so viele Instrumente …«
    »Tja, mein Mann hat früher viel Musik gemacht, und ich habe gesungen. Nun ist er ja nicht mehr, Gott habe ihn selig. Jetzt habe ich nur noch Elio.«
    »Kommt er Sie oft besuchen?«
    »Nein, kann er ja nicht. Aber morgen werde ich fünfundsiebzig, da wird er hier sein, hat er gesagt!«
    »Ach, das freut mich!«
    Zu dem starken Espresso reichte Mamma Isa kleine Teigtaschen, in die eine halbe getrocknete Feige eingerollt, in die wiederum eine Mandel eingebettet war. Sie strahlte, als Eva eine davon nahm, und erzählte, diesen Proviant hätten sich die Bauern immer mit aufs Feld genommen. Eva knabberte mühsam an dem harten Keks, es war beinahe unmöglich, durch den Teig zu brechen. Hatte man es schließlich geschafft, klebte die Feige an den Vorderzähnen, und mit der Mandel musste man auch noch irgendwie fertigwerden. Kein Wunder, dass die meisten Bauern im Alter nur noch Zahnstümpfe im Mund hatten – damals wie heute.
    Warum sie so gut Italienisch spreche, fragte Mamma Isa, und wo denn die Schauspielerschwester heute sei. Eva er zählte die traurige Geschichte von Milenas Zusammenbruch kurz vor Weihnachten, ohne die Chance auf Rettung. Un’infezione , im Italienischen hörte sich das ganz anders an, und sie musste auch nicht weinen, na ja, nur ein bisschen. Mamma Isa wusste Trost:
    »Wollen Sie mal Elios Zimmer sehen? Ich habe es noch ganz so gelassen wie früher!«
    »Gern!« Eva sprang auf. Eigentlich albern, aber warum sollte sie nicht so tun, als ob sie ein bisschen zur Familie gehörte?
    In dem kleinen Raum war es stickig, ein altes Bettsofa, ordentlich mit einer Tagesdecke abgedeckt, ein blitzblanker Schreibtisch, hundert Prozent Resopal, darüber Urkunden für den tapfersten Elio der Welt und ein großer Kleiderschrank, den seine Mutter nun stolz öffnete: »Alles aufgehoben, gucken Sie!« Seine kleinen Hemden, seine kleinen Anzüge, akkurat in knisternde Tüten von der Reinigung verpackt, Kinderkrawatten, und Eva meinte, die Lederjacke von dem Foto im Salon unter einer stabilen Plastikhülle zu erkennen.
    »Bello!«, sagte sie. Und weil Isa anscheinend mehr erwartete, setzte sie hinzu: »Molto bello!«
    »Ist alles für meine Enkel! Noch lässt mein Sohn sich ja Zeit, aber irgendwann wird er die Richtige mit nach Hause bringen.«
    »Bestimmt«, sagte Eva und überlegte fieberhaft. Sollte sie etwas mitnehmen? Nur zur absoluten Sicherheit, falls sie sich in Elios Kinderfoto doch getäuscht hatte. Aber was? Was hatte

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