Orangenmond
Wenigstens die beiden Chamäleons bleiben zu Hause.«
Dann erst sah er André. »Ach, sorry, ich war hier so beschäftigt! Ich bin Georg!« Der gut angezogene Mann neben Eva, der Georg mit einem wohlwollenden Lächeln taxierte, schüttelte die dargebotene Hand.
»André! Wir kennen uns. Flüchtig.«
André war extra aus Leipzig angereist, um Eva für zwei Tage zu besuchen, sie waren im Schauspielhaus gewesen und in drei der Kneipen, die sie noch aus ihrer gemeinsamen Hamburger Studienzeit kannten. Am Morgen der Ab reise hatte er es sich nicht nehmen lassen, sie zu Georgs Adresse zu bringen. »Damit ich mir den Herrn noch mal anschauen kann. Ob sich das ganze Theater, das du hier seit einigen Jährchen aufführst, überhaupt lohnt.«
Und lohnte es sich? André zog die Stirn in Falten und wiegte den Kopf auf eigentümliche Weise, wie immer, wenn ihm ein heterosexueller Mann gefiel.
»Wer kümmert sich um die Chamäleons?«, fragte Eva Georg.
»Jenny, die wohnt seit ein paar Monaten unter uns, auch alleinerziehend. Du hast sie bestimmt schon mal im Haus gesehen.«
»Nein.« Sie kannte keine Jenny.
»Nein? Emil geht jetzt manchmal nach der Schule zu ihr, wenn ich nicht da bin. Total nett und unkompliziert, sie hat ein vierjähriges Mädchen, Greta, sehr süß und schwer in Emil verliebt. Er lässt sich das gefallen, sie kann mit ihm machen, was sie will.« Georg lachte. Eva schaute auf die Rückbank, auf der Emil saß und sich Kopfhörer auf die Ohren stülpte. In den acht Stunden bis München würde er seine Wissens-CDs hören und sicher kaum etwas sagen.
»Wir können die Proben also bei dir untersuchen lassen?«, fragte Georg André und versetzte dem letzten Koffer einen Stoß.
»Wenn wir welche haben sollten …«, warf Eva ein.
»Wir werden welche haben … Verdammt.« Die Heckklappe ließ sich immer noch nicht schließen.
»Ja, ich denke, das können wir bei uns im Labor machen.«
Eva stieß André dankbar in die Seite. Sie hatten zum selben Zeitpunkt den Doktor gemacht, und nach einer unerfreulichen Zeit in einem riesigen Durchsatzlabor in der bayrischen Provinz saß er nun seit vier Jahren sehr zufrieden in einem Labor an der Leipziger Uni und erforschte die komplexen Verwandtschaftsstrukturen von Bonobo-Schimpansen. Er mochte es, wenn man ihn mit gut aussehenden, homosexuellen Schauspielern verglich, hatte einen scharfen, analytischen Verstand, merkte sich alles, was sie ihm je erzählt hatte, und war ihr bester Freund.
»Betrachte es als Test, Liebes«, hatte er ihr geraten. »Erstens: Du nimmst deinen verdienten Urlaub, bleibst lässig und siehst zu, dass du dich gefälligst erholst! Zweitens: Du beobachtest dich und ihn, ganz unabhängig von allem anderen, ob ihr miteinander überhaupt auf der kognitiven, der metaphysischen und nicht zuletzt der spirituellen Ebene harmoniert. Drittens: Ihr fahrt durch das Land, das du so liebst, und erledigt gleich noch das leidige Trullothema, indem ihr das Ding einem Maklerbüro zum Verkaufen übergebt. Das wäre allerdings meine Bedingung an ihn, wenn ich an deiner Stelle wäre.«
Eva merkte, wie sie ungeduldig mit den Füßen auf der Stelle trippelte. André hatte es auf den Punkt gebracht, es würde der ultimative Test, zehn Tage Bewährungsprobe für Georg.
»Denk an meine drei Punkte!«, flüsterte er ihr zu, doch bevor er sich verabschieden konnte, wurde sein Blick von einem bunten Geschöpf angezogen, das jetzt aus der Haustür trat.
»Kinder, geht’s endlich los?!« Helga schritt über den Bürgersteig. Mit ihren straff zurückgekämmten, hennaroten Haaren, den dezenten Goldkreolen an den Ohrläppchen und nur zwei schlichten goldenen Armreifen am nackten Arm, die leise gegeneinanderklimperten, hätte man sie für eine gealterte Primaballerina halten können, wären da nicht die vielen Farben in ihrem Gesicht gewesen.
»Ja, Mutter. Wenn wir den ganzen Kram hätten stehen lassen können, wär’s noch schneller gegangen …«
»Ach Quatsch! Guten Tag!« Helga begrüße André, schob dann die tellergroßen Gläser ihrer Sonnenbrille vor die grün ummalten Augen und ließ sich geschmeidig auf den Beifahrersitz gleiten.
Für ihre zweiundsechzig Jahre ist sie erstaunlich faltig im Gesicht, aber auch erstaunlich gelenkig, dachte Eva. Pilates? Yoga?
Sie umarmte André ein letztes Mal und verzog sich dann auf die Rückbank. Hatte sie wirklich erwartet, dass Helga sie fragte, ob sie gern vorn sitzen würde? Sie atmete tief durch und las die ersten drei
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